Giordano-Bruno-Stiftung
„Die Giordano Bruno Stiftung ist eine Denkfabrik für Humanismus und Aufklärung, die 2004 von dem ehemaligen Unternehmer Herbert Steffen gegründet wurde und der sich mittlerweile zahlreiche renommierte Wissenschaftler, Philosophen und Künstler angeschlossen haben. Ziel der Stiftung ist es, eine tragfähige säkulare Alternative zu den bestehenden Religionen zu entwickeln und ihr gesellschaftlich zum Durchbruch zu verhelfen. Hinter dieser Zielsetzung steht die Einsicht, dass wir die komplexen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mit den religiösen Vorstellungen der Vergangenheit meistern können. Wir benötigen heute ein zeitgemäßes Weltbild, das im Einklang mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen (u.a. der Evolutionsbiologie und der Hirnforschung) steht und das sich in ethischer Hinsicht konsequent an den individuellen Selbstbestimmungsrechten (etwa im Sinne der ‚Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘) orientiert.“[1]
„Evolutionäre Humanisten treten entschieden für die Werte der Aufklärung, für kritische Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. Allerdings begreifen sie den Menschen nicht mehr als ‚Krone der Schöpfung‘, sondern als unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution, das sich nur graduell, nicht prinzipiell, von den anderen Lebensformen auf diesem ‚Staubkorn im Weltall‘ unterscheidet. ...“[2]
„Humanisten kennen keine ‚heiligen Schriften‘, keine unantastbaren Propheten, Priester oder Philosophen, die den Zugang zur ‚absoluten Wahrheit‘ besitzen. Woran also ‚glaubt‘ ein Humanist? Im Grunde ist die Antwort bereits im Begriff ‚Humanismus‘ enthalten: Humanisten glauben an den Menschen – genauer: an die Entwicklungsfähigkeit des Menschen. Sie vertrauen darauf, dass die Menschheit lebensfreundlichere, freiere und gerechtere Verhältnisse herstellen kann, als wir sie heute vorfinden. Wer prinzipiell die Möglichkeit einer Verbesserung der Lebensverhältnisse ausschließt, ist kein ‚Humanist‘, sondern ‚Zyniker‘.“[3]
Inhaltsverzeichnis
Kurze Vorgeschichte der GBS (s. Video der GBS „Hoffnung Mensch“, Exzerpte aus Wikipedia 12/18)
Julian Huxley entwickelte das Konzept des „evolutionären Humanismus“ in den 60er Jahren, das nach 1987 fast in Vergessenheit geriet, bis es 2004 wieder zur Leitidee bei der Gründung der Giordano Bruno Stiftung wurde. Wesentlicher Mitbegründer und Mitgestalter der GBS ist Michael Schmidt-Salomon (* 14. September 1967 in Trier als Michael Schmidt). Er ist ein deutscher Philosoph, Autor und religions- und kulturkritischer Publizist. Er vertritt einen evolutionären Humanismus, der naturalistisch ausgerichtet ist, und ist Mitbegründer und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung. Neben seiner Tätigkeit als Aktivist ist er auch als Musiker in Erscheinung getreten. Er sieht sich als Mitglied der Brights-Bewegung . Wichtige Mitdenker der bewegung sind der Biologe Richard Dawkins („der Gottewahn“ u.a. populärwissenschaftliche Bücher) sowie der Philosoph Peter Singer (Bioethik, Präferenzutilitarismus)
Julian Huxley (1887 – 1975) wurde in Eton erzogen und studierte in Oxford Zoologie. Von 1910 bis 1912 arbeitete er als Lektor für Zoologie am Balliol College, von 1912 bis 1916 lehrte er am Rice-Institut in Houston (Texas). 1919 kehrte er zunächst nach Oxford zurück, wurde dann aber Professor (1925–1927) und Honorarprofessor (1927–1935) am King’s College London. Danach wirkte er als Vizepräsident (1937–1944) und Präsident der Eugenics Society (1959–1962) und als Generalsekretär der Zoologischen Gesellschaft zu London (1935–42). Julian Huxley spielte eine bedeutende Rolle in der Gründungsphase der UNESCO und war von 1946 bis 1948 der erste Generaldirektor der Organisation. Ferner geht die Gründung der Internationalen Humanistischen und Ethischen Union (IHEU) auf eine Initiative Huxleys zurück. Huxley war erster Präsident der IHEU, die heute ein Zusammenschluss von über 100 humanistischen und säkularen Organisationen ist. Julian Huxley wurde 1953 mit dem Kalinga-Preis für die Popularisierung der Wissenschaft ausgezeichnet. Ebenso war er ein bedeutender Vertreter der Eugenik. Er war unter anderem von 1937 bis 1944 und 1959 bis 1962 an führender Stelle im Vorstand der British Eugenics Society, dem heutigen Galton Institute. 1960 war Huxley als Berater der UNESCO für Fragen des Wildschutzes in Ostafrika tätig; er veröffentlichte einige Zeitungsartikel in der britischen Wochenzeitung The Observer, in denen er auf die Natur- und Lebensraumzerstörung von Wildtieren in Afrika aufmerksam machte. Durch die öffentliche Aufmerksamkeit, die seine Texte erhielten, entstanden die Idee und die nötige Öffentlichkeit zur Gründung des WWF im Frühjahr 1961. 1961 wurde Huxley in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Julian Huxleys Großvater Thomas Henry Huxley war Weggefährte Darwins. Aldous Huxley (1895 – 1963; 1932 „brave new world“) war sein Bruder; sein Halbbruder Andrew Fielding Huxley (1917 – 2012) erhielt 1963 für die „Entdeckungen über den Ionen-Mechanismus, der sich bei der Erregung und Hemmung in den peripheren und zentralen Bereichen der Nervenzellenmembran abspielt“ den Nobelpreis für Medizin.
Thomas Henry Huxley (1825 -1895 ) war ein britischer Biologe und vergleichender Anatom, Bildungsorganisator und Hauptvertreter des Agnostizismus, dessen Begriff er prägte und durchsetzte. Als einflussreicher Unterstützer des Empirismus David Humes und der Evolutionstheorie Charles Darwins (was zu seinem Beinamen Darwin’s Bulldog führte) hatte er zusätzlich zu seinen eigenen umfangreichen Forschungen, Lehrbüchern und Essays sehr großen Einfluss auf die Entwicklung der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert.
Grundpfeiler der Weltanschauung der GBS
Aufklärung „aude sapere“ - Befreing von Vorurteilen und Bevormundung durch die Autorität vor allem der Kirche. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ als Leitidee der Französischen Revolution. Aufstrebende Naturwissenschaften – rationale Erkenntnis statt theologischer Dogmen. Fortschrittsoptimismus. Weltbürgertum, Bildung, Bürgerrechte – Orientierung am Naturrecht, Menschenrechte; Gemeinwohl; Emanzipation; Individualismus und Selbstbestimmumg – freie Entwicklung und soziale Aufstiegsmöglichkeit für alle ...
Säkularität ... „Glaubst du noch, oder denkst du schon?“ (GBS) Trennung von Kirche und Staat, bzw. Religionsfreiheit; Diesseitigkeit, Beschränkung auf Immanenz und ablehnung transzendenter Ideen. Verweltlichung der Gesellschaft. „Religionskritik ist nötig, solange die Menschen ihr diesseitiges Glück einem jenseitigen opfern“. Die Religion steht dem Selbstbestimmungsrecht des menschen entgegen.
Evolutionärer Humanismus – Menschenbild Mensch ist Zufallsprodukt der Evolution: Er unterscheidet sich nicht prinzipiell (als „Krone der Schöpfung“ oder „Ebenbild Gottes“) sondern nur graduell von anderen Lebensformen und den Tieren. Der Mensch als „nackter Affe“ und als „Neandertaler von morgen“ (GBS). Ethik, die sich an den Interessen der Menschen und der Tiere orientiert und nicht an einem gottgefälligen Leben (GBS). Eintreten für Tierrechte „Leben, das leben will inmitten von Leben“ (A. Schweitzer). Unterstützung ökologischer Bewegungen.
Evolutionstheorie (Darwin) Evolution statt Schöpfungsmythen; Mensch als Zufallsprodukt der Evolution – auch das Bewusstsein ist evolutionär entstanden, daher kommt es auch den Tieren zu.
Naturalistisches Weltbild; Positivismus Erkenntnis ist nur darüber möglich, was sinnlich erfasst werden kann. Der methodologische Naturalismus ist durch seinen Bezug auf die naturwissenschaftlichen Methoden definiert. In seiner stärksten Variante behauptet er, dass letztlich nur die Naturwissenschaften zu wahren Beschreibungen der Welt führen und es keine von den Wissenschaften unabhängige, philosophische Methode gibt. (wikipedia)
Rationalität, Vernunft, Wissenschaft ... „Thinktank des Naturalismus“
„Förderung eines wissenschaftlichen Weltbildes. Wer für Humanismus und Aufklärung eintritt, dem kann es nicht nur um die Vermittlung von Werten gehen, sondern vor allem um die Vermittlung von Wissen. Leider hängen viele Menschen noch immer Weltanschauungen an, die angesichts der modernen Forschungsergebnisse heute ähnlich überholt wirken wie der einst verbreitete Glaube, die Erde sei eine Scheibe. Die Giordano Bruno Stiftung hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, auf eine größere Verbreitung und Akzeptanz wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Gesellschaft hinzuarbeiten.“ (homepage GBS)
Individualtät und Selbstbestimmung In der Radikalform: Jeder soll leben, wie er es für sich selbst für gut und richtig findet, keine Bindung an Tradionen, kulturelle Wertvorstellungen, überkommene Gesellschaftsordung und überkommene Moral. Vor allem frei von religiösen Bindungen. Ein „Recht zu leben, statt einer Pflicht zu leben“.
Der „Neue Mensch“ – Akzeptanz von kulturellem Wandel und technologischem Fortschritt, jede Neuerung ist willkommen
Globaler Emanzipationsweg – säkulares Westeuropa als Utopie für die ganze Welt
„Hoffnung Mensch“: „Hoffnung jenseits der Illusion“ – radikale Diesseitigkeit „Heidenspaß statt Höllenqual“
→ Geheimnisse der Natur ergründen
→ Raffinierte technische Erfindungen und medizinische Verfahren nutzen → Kunstwerke, Schönheit ... hervorbringen → Sich von Zwängen befreien (Aufhebung kirchlicher Privilegien und kirchlicher Dogmen; gegen Traditionalismus, Rassismus, Nationalismus, Sexismus ...)
„Ethische Grundlage des evolutionären Humanismus ist das ‚Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen‘ . Daher sind diskriminierende Ideologien wie Rassismus, Sexismus, Ethnozentrismus oder Speziesismus sowie sozialdarwinistische oder eugenische Konzepte, die mitunter auch von Evolutionstheoretikern ... vertreten wurden, mit unserem Konzept des evolutionären Humanismus unvereinbar.“ (homepage GBS)
Um ihre Weltanschauung global zu verbreiten bedient sich die GBS seit 2004 einer breiten Medienkampagne und ist lt. ihren websites an über 50 Hochschulen unter Lehrenden und StudentInnen aktiv:
„Gerade in einer Mediengesellschaft wie der unseren gilt: Es genügt nicht, wenn man aufzeigen kann, dass vernünftige Argumente für eine Position sprechen, man muss sie auch erfolgreich unter die Menschen bringen! Bei der wirkungsvollen Vermarktung aufklärerischer Ideen ist Provokation unerlässlich ...“ (homepage GBS)
In der Auseinandersetzung mit den Leitideen der GBS wird es schnell klar, dass es nicht möglich ist, sich mit einem einfachen gut – schlecht-, Freund – Feind- Urteil zufrieden zu geben. Vielen der Leitgedanken werden die meisten von uns mehr oder weniger zustimmen können, wenngleich nicht unbedingt in dieser radikalen Ausformulierung. Beim genauen Lesen fallen jedoch Widersprüche auf, u.a.:
• Wie verträgt sich Ökologiedenken mit enthusiastischem Fortschrittsoptimismus, der auf Technik und Wachstum baut?
• Wie verträgt sich die Rede von aufklärerischer Toleranz mit der grob vereinfachenden, zynischen, gehässigen Sprache (s. dazu auch die Videos) Andersdenkenden gegenüber? Die Sprache bedient sich eines ausgeprägten Schwarz – weiß – Denkens.
• Der denkende „gescheite, aufgelärte, vernünftige“ Mensch wird mit jenen gleichgesetzt, die in ihrer Meinung konform mit den Ideen des „evolutionären Humanismus“ sind. Differenzphilosophische Überlegungen und Refelxionen des als selbstverständlich angenommenen Ansatzes fehlen.
• Aufklärung wird mit westlichem Denken gleichgesetzt, das sich global durchsetzen soll. Auch wenn von Toleranz gesprochen wird, ist das ein imperialistischer Ansatz.
• Es wird sehr klar, wogegen die GBS auftritt, aber einen positiven Zukunftsentwurf sucht man nahezu vergeblich.
• Die Gleichsetzung von Rationalität und Vernunft wird unreflektiert vorausgesetzt, ebenso das Verständnis von Wissenschaft als einer Naturwissenschaft (des 19. Jahrhunderts)
• Die Interpretation Darwins erscheint sehr verkürzt. Auch die wissenschaftliche Forschung zur Epigenetik fehlt wenigstens auf den ersten Blick
• Berufung auf S. Freud als einen der Vordenker steht auf sehr wackeligen Beinen, da Freud zwar den tradierten Vatergott ermordet hat (verständlich aus seiner Biografie), jedoch dem Menschen die dritte große Kränkung zugefügte, indem er eben nicht der Vernunft sondern dem Unbewussten die größere Macht bescheinigte – „der Mensch ist nicht Herr im eigenen Haus“.
• Die Kunst wird explizit als herausragende menschliche Fähigkeit genannt – unter
dem Primat des Positivismus und Naturalismus beschränkt sie sich jedoch auf jene
Disziplinen und Genres, die ohne Transzendenz auskommen können – Satyre, Aktionen, realistische und naturalistische Stilrichtungen
Eine Auseinandersetzung mit dieser weltanschaulichen Basis der Homöopathiekritiker könnte sich lohnen um in einen kritischen Dialog eintreten zu können, so das zugelassen werden kann (s. o. Kritikpunkte 2 und 3). Wenn man sich das große und einflussreiche Netzwerk der GBS und ähnlicher Organistationen (Gwup, Psiram, Skeptikerbewegung) klar macht, scheint es wenig Sinn zu machen, in einen „Propagandakrieg“ einzutreten, zu dem z.B. Homöopath*innen einerseits die Mittel fehlen, andereseits ist Krieg und gegenseitiges Niederschreien die primitivste und unreifste Form der Auseinandersetzung und Konflikbewältigung. Sinnvoller erscheint es, auf argumentativer Ebene auf die Kritiker einzugehen, z.B. orientiert an Kritikpunkten und Widersprüchen. Als Massenbewegung können und müssen die Patienten auftreten – und (ganz im Sinn der Kritiker!) z.B. ihr Selbstbestimmungsrecht einfordern (freie Therapiewahl und Arztwahl) und einen Paternalismus ablehnen, der vorgibt, zu wissen, mit welcher Methode sie gesund werden sollen.
Wenn man versucht, diese Bewegung kulturgeschichtlich, ideologisch, einzuordnen – und nicht nur als simplen Wirtschaftskrieg zu begreifen, wird der Blick frei dafür, dass die Haltung der Homöopathiekritiker als radikale Aufklärer sich sehr subtil auch in der Geschichte der Homöopathie selbst findet. Die Rolle der „Ratio“ spielt eine nicht unwesentliche Rolle und trägt auch zur Spaltung zwischen den unterscheidliche Homöopathieschulen bei. War doch Hahnemann selbst ein Kind der Aufklärung, eine rationale Heilkunde fordernd gegen traditionelle Mystizismen und Überlieferungen. Wer lehnte die Wurzel des Ähnlichkeitsdenkens in früheren Traditionen ab? Wer wollte mit Paracelsus nichts zu tun haben? Auch genauer betrachtet steht Hahnemann in einem ideologischen Schnittpunkt, der in den daraus hervorgehenden Denk-Modellen bis heute unser Denken, Gesellschaftskonzepte und politische Entwicklungen beeinflusst: einerseits die Bewegung der Aufklärung, Fortschritt und Emanzipation, Liberalismus (eine der philosophischen Leitfiguren war Voltaire) bis zu Globalisierung und westlichem Imperialismus - andererseits die Bewegung der Romantik (eine der philosophischen Leitfiguren war Rousseau, später die Philosophen des deutschen Idealismus), Traditions- und Kulturbewusstsein bis zu Nationalismus, Faschismus und Chauvinismus . Hahnemann wurde nach den Idealen Rousseaus erzogen, berief sich auf Kant und lehnte recht vehement das romantische Gedankengut seiner Zeit ab. Sein Wirken fiel in die Zeit der Napoleonischen Kriege, in den Hass zwischen Frankreich (als Protagonist der Aufklärung) und Deutschland (als Protagonist der Romantik und des Idealismus). Er war Freimaurer und übesetzte Thiry d’Holbach („systeme de la nature“), einer der ersten radikalen Positivisten, aus dessen Schriften sich fast wörtliche Zitate bei Hahnemann finden.
GBS und Homöopathie-Kritik
Es gibt einen Zusammenhang der Skeptikerbewegung und der GWUP mit der „Giordano Bruno Stiftung“ (GBS) – „Evolutionäre Humanisten“ (www.giordano-bruno-stiftung.de, www.giordano-bruno-stiftung.at , www.gbs-schweiz.org ). Eine der Hauptprotagonistinnen der Homöopathiekritiker, Dr. Natalie Grams, ist im Beirat der GBS. Außerdem arbeitet Frau Grams im Wissenschaftsrat der GWUP („Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“ www.gwup.org ), beim Deutschen Konsumentenbund, sie ist Vize-Präsidentin des Humanistischen Pressedienstes, arbeitet im Münsteraner Kreis und setzt sich öffentlich auf vielfältige Weise für kritisches Denken ein [4] Man kann daher die gegenwärtigen Ereignisse der Homöopathiekritik als Phänomen des Zeitgeistes verstehen. Homöopathie ist keine Weltanschauung, aber ihr liegt doch implizit ein Weltbild und ein Menschenbild zugrunde. Immerhin legt die Homöopathie auch die Finger in viele Wunden der Gegenwart, aktuelle Themen und Phänomene mit denen alle ringen: z.B. „Individualität“ - als Leitthema der Gegenwart, im Spannungsfeld zwischen Egoismus und persönlicher Entfaltung, zwischen Beziehungslosigkeit, Entwurzelung, Halt- und Ortientierungslosigkeit und Sehnsucht nach Identifikation (Thema: Identität) und Führung. Individualität auch im Spannungsfeld zwischen genetischer Determination und kultureller Prägung. Oder auch „Natürlichkeit“ - „natürliche Selbstregulation“ („Heilung“) versus hochtechnischer „Selbstoptimierung“, „Enhancement“; Ökologie versus Ökonomie. Diskursfeld Religion – „Esoterik“: Harald Walach hat nicht zu Unrecht das Thema Religion als das größte Tabu unserer Zeit diagnostiziert . Aber gerade Tabus sind ja in ihrer Wirkung allgegenwärtig. Die großen traditionellen Religionen sind im Umbruch, die „Eso-Szene“ treibt gelegentlich wilde Blüten. Ein „aufgeklärter“ öffentlicher Mainstream macht atheistische Haltungen zu einer scheinbaren Selbstverständlichkeit für intelligente Zeitgenossen, die sich auf positivistische Wissenschaft (als neue Religion?), auf Zahlen und Fakten stützen sollen statt auf Erkenntnis auch aus anderen Quellen. Homöopathie ist keine Religion. Aber vom Ansatz her kommt sie alleine mit Zahlen und Fakten nicht zurecht. Und der § 9 im Organon meint doch mit dem „höheren Zweck unseres Daseins“ nicht unbedingt nur Konsumgüter und Wirtschaftsfaktoren („wenn es allen besser geht, müssen sie auch glücklicher sein“), auch wenn dafür nicht unbedingt ein „Gott“ notwendigerweise herhalten muss. Auch das Thema neu erstarkender männlicher Dominanz spielt mit hinein, haben wir die Homöopathie (trotz zumeist immer noch männlicher Homöopathen im öffentlichen Raum) immer eher als „weibliche“ Heilkunst angenommen – eben synthetisch, die Natur achtend und auf das Ganze im Menschen schauend. Genau genommen jedoch zeigt gerade die Homöopathie einen möglichen Weg weiblich-männlicher Integration, geht es doch in der „rationalen Heilkunst“ fast schon um eine „heilige Hochzeit“ zwischen Vernunft und Intuition.