Homöopathie in der Geschichte der Medizin: Unterschied zwischen den Versionen

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<span class="tm5">Im Jahr 1799 erschien der vierte Teil von Hahnemanns </span>''<span class="tm6">Apothekerlexikon.</span>''<span class="tm5">Hier lässt sich anhand von Dosierungsvorschlägen zu einzelnen Heilpflanzen bereits eine Veränderung in seiner Gabenlehre beobachten. Mit der Intention, die anfänglichen Krankheitsverschlimmerungen abzuwenden, begann Hahnemann mit der Verdünnung der Wirksubstanzen. <ref>Dellmour F. (1992), S. 9.</span></ref><span class="tm5">&nbsp; Die Verminderung der Dosierungen bis zu den später verwendeten hohen Verdünnungen, die kein Arzneimolekül enthalten haben dürften,</span>&nbsp; <ref>Hahnemann konnte trotz seiner guten Kenntnisse der Chemie nicht von der Loschmidtschen Zahl (Avogadro-Konstante (6,022 x 10</span><sup><span class=</ref> <span class="tm5">war jedoch ein langwieriger Prozess. Hahnemann war zu diesem Zeitpunkt seiner homöopathischen Praxis noch der später verworfenen Überzeugung, dass durch die Minderung der Quantität auch die Potenz <ref>Die Verwendung des Begriffes Potenz erschien bei Hahnemanns erstmals 1801 [Monita über die drey gangbaren Kurarten.] und 1805 [Heilkunde der Erfahrung]. Demnach verstand Hahnemann darunter ganz allgemein jede Kraft, die spezifische Wirkungen hervorruft. In diesem Sinn bezeichnete er Blitz und Feuer als Naturpotenzen. Da aber auch Arzneimittel in der Arzneimittelprüfung am Gesunden Krankheitssymptome hervorriefen, nannte er seine Arzneien 1801 Gegenkrankheitspotenzen und Kunstkrankheitspotenzen, bevor er daraus die vereinfachten Begriffe Arzneipotenz bzw. Potenz entwickelte. Dellmour F. (1993), S. 152-153. [Stefan Mayr: Herstellung Homöopathischer Arzneimittel; Von Hahnemann bis zu Schwabes Pharmakopöe (1872)]</ref> <span class="tm5"><span class="tm5">der Arznei verringert werde. Er musste deshalb auf der Suche nach Verdünnungsstufen gewesen sein, die einen guten Kompromiss aus möglichst geringer Giftwirkung und gleichzeitig maximaler Heilkraft darstellten.</span></span></span></span>
 
<span class="tm5">Im Jahr 1799 erschien der vierte Teil von Hahnemanns </span>''<span class="tm6">Apothekerlexikon.</span>''<span class="tm5">Hier lässt sich anhand von Dosierungsvorschlägen zu einzelnen Heilpflanzen bereits eine Veränderung in seiner Gabenlehre beobachten. Mit der Intention, die anfänglichen Krankheitsverschlimmerungen abzuwenden, begann Hahnemann mit der Verdünnung der Wirksubstanzen. <ref>Dellmour F. (1992), S. 9.</span></ref><span class="tm5">&nbsp; Die Verminderung der Dosierungen bis zu den später verwendeten hohen Verdünnungen, die kein Arzneimolekül enthalten haben dürften,</span>&nbsp; <ref>Hahnemann konnte trotz seiner guten Kenntnisse der Chemie nicht von der Loschmidtschen Zahl (Avogadro-Konstante (6,022 x 10</span><sup><span class=</ref> <span class="tm5">war jedoch ein langwieriger Prozess. Hahnemann war zu diesem Zeitpunkt seiner homöopathischen Praxis noch der später verworfenen Überzeugung, dass durch die Minderung der Quantität auch die Potenz <ref>Die Verwendung des Begriffes Potenz erschien bei Hahnemanns erstmals 1801 [Monita über die drey gangbaren Kurarten.] und 1805 [Heilkunde der Erfahrung]. Demnach verstand Hahnemann darunter ganz allgemein jede Kraft, die spezifische Wirkungen hervorruft. In diesem Sinn bezeichnete er Blitz und Feuer als Naturpotenzen. Da aber auch Arzneimittel in der Arzneimittelprüfung am Gesunden Krankheitssymptome hervorriefen, nannte er seine Arzneien 1801 Gegenkrankheitspotenzen und Kunstkrankheitspotenzen, bevor er daraus die vereinfachten Begriffe Arzneipotenz bzw. Potenz entwickelte. Dellmour F. (1993), S. 152-153. [Stefan Mayr: Herstellung Homöopathischer Arzneimittel; Von Hahnemann bis zu Schwabes Pharmakopöe (1872)]</ref> <span class="tm5"><span class="tm5">der Arznei verringert werde. Er musste deshalb auf der Suche nach Verdünnungsstufen gewesen sein, die einen guten Kompromiss aus möglichst geringer Giftwirkung und gleichzeitig maximaler Heilkraft darstellten.</span></span></span></span>
  
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<span class="tm5">Nach seiner eigenen Angabe hatte er bemerkt, dass diejenigen Arzneien, welche nach seinem Prinzip gewählt waren, zu den erkrankten Teilen in einer spezifischen Beziehung standen, und diese eben deshalb in besonderem Maße zu beeinflussen geeignet waren. Hie und da wirkte das Präparat in noch kleinerer Menge stärker ein, als ihm dienlich schien. Er ging deshalb in der Verkleinerung der Arzneigabe noch weiter.<br/> Sein Verfahren war dieses: Er nahm einen Teil Arzneisubstanz, und vermengte ihn innig mit einer bestimmten Menge eines geeigneten Vehikels: Milchzucker, Wasser, Alkohol. Von dieser Bereitung nahm er einen Bruchteil, und vermischte ihn durch sorgfältiges Reiben respektive Schütteln mit einem neuen Quantum Milchzucker etc. Von diesem Präparat verrieb oder schüttelte er wieder einen Teil mit dem passenden Vehikel etc.<br/> Im Jahre 1801 <ref>Dr. Samuel Hahnemann’s Heilung und Verhütung des Scharlachfiebers und Purpurfriesels; mit einigen Zusaetzen von Dr. J. Buchner; München; 1844; S. 14</span></ref><span class="tm5">rät er, bei bestimmten Gehirnerscheinungen im Scharlach Opiumtinktur zu geben, und diese auf folgende Weise zu bereiten. Ein Teil dieser Tinktur wird mit 500 Teilen Alkohol geschüttelt, und hiervon wird ein Tropfen mit 500 Tropfen Weingeist innig vermischt. Von dieser Bereitung nimmt der Kranke tropfenweise.<br/> Hahnemann regelte später diese Prozedur methodisch, indem er einen Teil Arzneisubstanz mit 99 Teilen Milchzucker oder Weingeist verrieb respektive schüttelte; von dieser Zubereitung verarbeitete er wieder einen Teil mit 99 Teilen Vehikel, verfuhr dann mit diesem Präparat in derselben Weise und so fort. Dieses war die erste, zweite, dritte etc. Verreibung oder Verdünnung, oder wie Hahnemann später sagte, „Potenz".</span><br/> In solcher Weise hergestellte Arzneien wandte er nicht mit derselben Absicht an wie die anderen Ärzte. Solche Arzneibereitung riet er nicht an, um Erbrechen und Purgieren zu erregen, nicht bei Betäubungsmitteln; er wollte damit auch nicht „das Blut von den Schärfen reinigen" oder den „im Entzündungsblut vorwaltenden Sauerstoff binden". Er hatte nicht die Absicht, „Schleim einzuschneiden", „Verstopfungen zu lösen", „Verhärtungen zu schmelzen" oder gar Parasiten auf diese Weise zu vernichten. ''<span style="background-color:#ecf0f1">Er hatte gefunden, dass solche Arzneibereitungen, die auf seine Weise gewählt waren, die also keine Revolution im Körper hervorzubringen hatten, vortheilhaft auf den Heilungsvorgang einwirkten</span>''.<br/> Anfangs war er selbst am meisten von Staunen über diese Entdeckung ergriffen, die er wiederholt „unerhört", „unglaublich" nannte. Desto sorgfältiger kontrollierte er sich selbst, und fand nicht nur Bestätigung, sondern noch Erweiterung seines merkwürdigen Fundes. In den ersten Jahren dieser Entdeckung legte er die Betonung auf das Gewicht der Arznei, welches seine Präparate enthielten, und erzählte der erstaunten Welt von der Wirkung, die ein Millionstel, Billionstel etc. Teil eines Grans Arznei hervorbrächte.<br/> In der Verfolgung dieses Phänomens hatte Hahnemann gefunden, dass sich die Arzneikraft nicht proportional zu dem Quantum verhielt. Die doppelte oder dreifache Menge äußerte nicht die doppelte oder dreifache Wirkung; die Abnahme der Arzneiwirkung hielt nicht gleichen Schritt mit der Abnahme des Stoffgehaltes.<br/> Ja noch mehr! Er fand, dass durch die angegebene Bereitungsweise die Tauglichkeit vieler Arzneien zu Heilzwecken, statt abzunehmen, geradezu entfaltet wurde, dass solcher Art bereitete Heilagenzien eine Wirkung äußerten, welche mit rohen Substanzen nicht erzielt werden können. Es stellte sich ferner die überraschende Tatsache heraus, dass Arzneikörper so viele Bereitungsstufen durchlaufen konnten, dass weder Physik noch Chemie einen Stoffgehalt in ihnen zu entdecken im Stande waren, und doch wohnte ihnen große Heilkraft inne. Stark giftige Substanzen konnten solcher Weise zu wohltätigen, nie schadenden Heilmitteln umgewandelt werden, und leicht zersetzbare und dadurch unwirksam werdende Stoffe konnten in eine Form gebracht werden, in der sie der Zersetzung nicht mehr ausgesetzt waren, und sie blieben oder vielmehr wurden dadurch erst mächtige Heilwerkzeuge in der Hand des unterrichteten Arztes.</span>
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<span class="tm5">Dies ist die größte Entdeckung Hahnemann's, einer der wichtigsten Funde, die je menschlicher Forschergeist zu Tage gefördert.</span>
  
 
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Version vom 5. November 2018, 06:25 Uhr




Die Entstehung der Homöopathie

Die Entstehung der Homöopathie muss im Kontext der zeitgenössischen Wissenschaft gesehen werden, damit sie aus heutiger Sicht nachvollzogen werden kann. Da Wissenschaftler des 18. und 19. Jahrhunderts die noch fehlenden Grundlagenkenntnisse unter einfachsten Bedingungen erst noch finden mussten, erweist sich Dr. Samuel Hahnemann als ein außerordentlicher Pionier in der Medizingeschichte.

Die Entstehung der modernen Chemie

Bis zu den Entdeckungen Lavoisiers waren die Lehren von Joh. Joach. Becher (1635 - 1682) und G. E. Stahl (1660 - 1734) bedeutend, besonders in der Lehre des Phlogiston. Nach Prof. Neumann war das Phlogiston das brennbare Prinzip, ohne das nichts auf der Welt brennen kann. Schwefel z. B. bestand also aus Schwefelsäure und Phlogiston. Auch schreibt Neumann: „Das Wasser ist nichts als eine von der Wärme flüssig gemachte durchsichtige Erde, die man Eis nennet. Es besteht aus vier Elementen: terra vitrescens, terra mercurialis, terra sulfurea und inflammabilis.“[1]

Neumann wurde zu Hahnemanns Zeiten noch oft als Autorität genannt. Es gab auch noch Alchimisten.
Bei den chemischen Untersuchungen jener Zeit gab es die große Schwierigkeit, dass man keine oder nur wenige ‘einfache’ Körper, die Elemente, kannte. Man suchte nach dem „Grundwesen“ der Körper.

1791 schreibt Prof. Gren über chemische Verwandtschaften: Feuer mit Luft = Phlogisierte Luft; Luft mit Wasser = Durchdringung; Feuer mit Gummi = Kohle.
Lavoisier machte diesen Annahmen gegen heftigsten Widerstand und langer Gegenwehr ein Ende. In diese Zeiten fallen auch Hahnemanns chemische Arbeiten. 1770 zeigte Lavoisier, dass sich Wasser nicht in Erde verwandelt, sondern aus Wasserstoff und Sauerstoff zusammengesetzt ist. 1774 beweist er, dass die Zunahme des Gewichts, welche Metalle beim ‘Verkalken’ (Oxidieren) erfahren, von dem „Einschlucken“ von Luft herrühre.

In Crell’s Chemischen Annalen [2]veröffentlichte Hahnemann einige seiner frühen Schriften. 1790 lädt er zu Untersuchungen zur Entscheidung über die Frage zum Phlogiston ein. Leider kam es wegen des Ausbruchs der Französischen Revolution nicht mehr dazu, in deren Verlauf Lavoisier unter der Guillotine endete (1794).

1799 konstatiert Gmelin, dass das System Lavoisiers von dem größeren Teil der ‘Scheidekünstler’ angenommen sei. [3]

Hahnemann als Chemiker

Hahnemann trat als Chemiker auf, ohne dass er einen besonderen Unterricht gegenüber anderen Ärzten genossen oder vorher Assistent in einem Laboratorium gewesen wäre - er war Autodidakt. 1784 übersetzt er Demachys „Laborant im Grossen oder Kunst, die chemischen Produkte fabrikmäßig zu verfertigen“. 2 Bände. Hahnemann verbesserte und ergänzte das Werk durch eigene Anmerkungen bedeutend. Demachy war Mitglied der Akademien zu Paris und Berlin. Hahnemann zeigte in seinen Anmerkungen eine erstaunliche Kenntnis in allen Fragen, die irgendwie mit dem Inhalt des Buches zusammenhängen. Erschöpfend ist seine Literaturkenntnis, die er an zahlreichen Stellen durch Auskunft zum besseren Verständnis des Vorgetragenen zeigt. Oft erklärt er chemische Vorgänge genauer. Oft verbessert Hahnemann Irrtümer und Fehler, die Wilhelm Ameke in seinem Werk „Die Entstehung und Bekämpfung der Homöopathie“ durch einige Beispiele belegt.

1786 gibt Hahnemann das Buch „Über die Arsenikvergiftung, ihre Hülfe und gerichtliche Ausmittelung“ heraus. Der besonders um die Pharmazie verdiente Arzt Bergrath Dr. Buchholtz in Weimar schreibt: “... Die für jene Zeit klassische Schrift Samuel Hahnemanns über den Arsenik, wodurch die damals besten Arsenikanalysen in die gerichtliche Medizin eingeführt wurden.“

Veröffentlichungen Hahnemanns in Crell's Chemischen Annalen

1787 (II. 387-396): „Ueber die Schwierigkeit der Minerallaugensalzbereitung durch Potasche und Kochsalz“.

1788 (I. 141 - 142): „Ueber den Einfluss einiger Luftarten auf die Gärung des Weines“.

1788 (I. 291 - 305): „Ueber die Weinprobe auf Eisen und Bley“

1788 (III. 296 - 299): „Etwas über die Galle und Gallensteine“

1788 (III. 485f): „Ueber ein ungemein kräftiges, die Fäulniß hemmendes Mittel“

1789 (I. 202 - 207): „Mißglückte Versuche bey einigen angegebenen neueren Entdeckungen“

1789 (III. 291 - 298): „Entdeckung eines neuen Bestandtheils im Reißbley“
1790 (II. 22 - 28): „Vollständige Bereitungsart des auflöslichen Quecksilbers“

1791 (II. 117 - 123): „Unauflöslichkeit einiger Metalle und ihrer Kalke im ätzenden Salmiakgeiste“

1792 (I. 22 - 33): „Ueber die Glaubersalz-Erzeugung nach Ballen'scher Art“

1794 (I. 104 - 111): „Ueber die neuere Weinprobe und den neuen Liquor probatorius fortior“

1800 (I. 392 - 395): „Pneumlaugensalz, entdeckt von Hrn. D. Samuel Hahnemann“[4]

Die Chemie hält Einzug in die Medizin

Hierbei ist Hahnemann unter den Vorreitern und zeigt bei vielen Gelegenheiten das Bestreben, die Chemie im Dienste der Medizin zu verwerten.

Das Werk J. B. van den Sandes „Die Kennzeichen der Güte und Verfälschung der Arzneymittel“ stammt im chemischen Teil aus Hahnemanns Feder, wie auch die genauen Angaben der Bestandteile der einzelnen Drogen. Die Prüfungsmittel für die Arzneimittel gibt Hahnemann bisweilen so gedrängt, treffend und erschöpfend, dass man an die heutigen Pharmakopöen erinnert wird. Hahnemann zeigt in dieser Schrift bereits sein Bestreben, die Grenzen der Wirksamkeit der Stoffeund ihre Löslichkeit kennenzulernen.
Genauigkeit herrscht in allen Punkten. Er gibt die Schmelzpunkte der Metalle, die spezifischen Gewichte derselben und ihrer Präparate an, die Löslichkeit der Salze oft bei verschiedenen Wärmegraden, bei wichtigen, wie z. B. dem Salmiak, auch noch in Weingeist von verschiedener Temperatur. Besonders wichtig scheint ihm mit Recht die Bestimmung des spezifischen Gewichtes bei den
Säuren; er führte für die arzneiliche Verwendung verdünnte Säuren ein, wie es noch heute Gebrauch ist. Er setzt sogar die Verdünnungen nach dem spezifischen Gewichte fest, wobei er den heutigen Vorschriften sehr nahe kommt. Beim Essig soll die Stärke durch Sättigung mit einem Alkali bestimmt werden, wie es noch lange geschah.

An verschiedenen Stellen klagt Hahnemann über die ‘Unzuverlässigkeit der pharmaceutischen Präparate’ z. B. S 317, „die nie ein Arzt mit Gewissen verschreiben kann" oder S. 316 „worauf soll der Arzt sich verlassen?"

Bei der Exaktheit in seinen Arbeiten hat Hahnemann manches Neue gefunden und hier veröffentlicht.

Schon 1784[5]sprach Hahnemann für das Kristallisieren des Brechweinsteins, „damit wir doch endlich einmal in der Heilkunst von den Kräften dieses Mittels eine zuverlässige Norm bekommen mögen." Hätte man 1784 nach seinem Drängen kristallisiert, so wären die späteren Klagen nicht erfolgt. Später wurde dieses Mittel aus Algarothpulver und mittels Kristallisirens hergestellt, wie es Hahnemann empfohlen hatte. Auch an andern Stellen macht er auf die Wichtigkeit des Kristallisirens aufmerksam und mahnt die Apotheker, wo möglich nur kristallisierte, und nicht, wie so häufig, gepulverte Salze zu kaufen - wegen der leichteren Entdeckung der Verfälschungen.

Für die Selbstbereitung tritt Hahnemann überall da ein, wo Verunreinigungen nicht leicht zu entdecken waren.

Damalige Kritik von Prof. Baldinger [6] : „Dieses Buch ist äusserst wichtig und jedem praktischen Ärzte schon unentbehrlich, noch mehr aber jedem Physico,' dessen Pflicht es ist, Apotheken zu untersuchen ... Viel Gutes ist in diesem wichtigen und unentbehrlichen Buche gelehrt worden, das ich nicht genug empfehlen kann.“

In diesem Buch lehrte Hahnemann zum ersten mal seine sogenannte Weinprobe, die er später in Crells Chemischen Annalen noch genauer beschrieben hat. Hahnemann konnte so mit Bleizucker gepanschten Wein identifizieren, der zu ‘Koliken und „Kontrakturen“, auch zu Abzehrung und langsamen Tod führte’. Diese weittragende Entdeckung auf chemischem Gebiet führte zu weiter Verbreitung von Hahnemanns Namen. Übrigens wurde diese ‘Weinprobe’ später als ‘Hahnemanns Metallprobe’ verstanden.

 

Mercurius solubilis Hahnemanni

Chemiker waren auf der Suche nach einem Quecksilberpräparat, welches weniger ätzend und „giftig“ sei, als Sublimat, also salzsaures Quecksilber und Turpethum minerale, basisch schwefelsaures Quecksilber. [7]

Hahnemann löste zunächst Quecksilber unter Verwendung von Salpetersäure in der Kälte. Das entstehende Salz ließ er kristallisieren, spülte die Kristalle mit sehr wenig Wasser ab und trocknete sie auf Fließpapier. Auf diese Weise erhielt er reines salpetersaures Quecksilberoxydul.[8]" Schon damit hatte er ein lange gebräuchliches Salz geschaffen. Selbst das Hahnemannsche Mengenverhältnis, der stete Überschuss an Quecksilber, das Lösen in der Kälte, das Abspülen der Kristalle mit nur wenig Wasser, das Trocknen auf Fließpapier ohne Wärme wurde beibehalten, weil alle diese Vorschriften als wesentlich erkannt waren.
Diese Kristalle behandelte er mit einer bestimmten Menge Wasser und schlug die Lösung durch eigens bereiteten kohlensäurefreien Salmiakgeist nieder, zu dem er nochbesonders die Vorschrift gibt. Der Niederschlag bildet, nach 6-stündigem Stehen, einen schwarzen Teig, der auf einem Filtrum von weißem Fließpapier ohne alle Hitze getrocknet wird.


Die Ärzte urteilten: „Eines der allerwirksamsten gelinden Mercurialpräparate verdankt die Kunst dem bekannten und dadurch unsterblichen Hahnemann“.[9] Mit den Anerkennungen, die Hahnemann wegen seines Quecksilbers im Laufe der Jahre von nichthomöopathischen Ärzten gezollt wurden, können viele Seiten gefüllt werden.

Samuel Hahnemanns Apothekerlexikon

Verfasst 1793 - 1799

Der Stoff ist alphabetisch geordnet und bespricht alle Gegenstände, welche den Apotheker bei seinen Arbeiten interessieren. Die Darstellung ist kurz, lebendig und anregend. Man findet eine genaue Beschreibung der zweckmäßigsten Einrichtung einer Apotheke und deren Räume, z. B. unter den Wörtern „Apotheke", Keller, Trockenboden, Laboratorium etc. Ebenso sind die einzelnen erforderlichen Utensilien genau und mit großem Sachverständnis beschrieben. Jeder von diesen Artikeln zeigt, wie speziell Hahnemann mit den Arbeiten vertraut ist, und doch zeigt jeder andere Artikel es nicht minder. Häufig führt er neue, von ihm erfundene oder verbesserte Apparate an, nicht ohne das Verständnis durch Abbildungen zu unterstützen.


Mit großer Genauigkeit und in fesselnder Weise werden die einzelnen Arbeiten des Apothekers bei der Rezeptur und im Laboratorium besprochen. Man vergleiche die Ausführungen unter „Rezept", wobei Hahnemann vielerlei Anweisungen erteilt, die heute zur gesetzlichen Vorschrift geworden sind. Wie reichhaltig sind bearbeitet: Abdampfen, Abgießen, Abklären, Auflösen, Auslaugen, Auspressen u. a. allein im Buchstaben A. Es ist in den einschlägigen Dingen ein eingehender Unterricht für Apotheker gegeben, man lese nur „Emulsion", die verschiedenen Arten derselben aus Samen, Fetten, Harzen, Kampfer mittelst Gummi, Tragant, Ei etc., oder man schlage nach „Destillation" oder „Krystallisirung", um zu sehen, mit welchem Eifer Hahnemann praktisch gearbeitet haben muss, und wie er seine Erfahrungen geistig zu verarbeiten verstand.
Dass er durch und durch Sachkenner war, zeigt auch das Interesse, das er am scheinbar Unbedeutendsten nahm, das nur dem Selbstarbeitenden wichtig wird, so beim Beschlag der Öfen (I. 111), bei der Destillation, bei der Anleitung zum Selbstverfertigen nicht käuflicher Apparate, bei dem verschiedenen Feuerungsmaterial für verschiedene Zwecke (I. 294), beim Pulvern der verschiedenartigsten schwer zu behandelnden Stoffe (II 1.246), bei den einzelnen Schmelztiegeln zu verschiedenen Arbeiten (II. 2.-161), bei den verschiedenen Öfen je nach dem Zweck (II. 1. 145-150) etc.
Eine Reihe von Hahnemann's Forderungen für die Apothekenverwaltung sind jetzt allgemein angenommen.
In diesem Lexikon hat Dr. Hahnemann Literatur aus über 100 Werke von den ersten Biologen und Zoologen eingearbeitet.
Kraus sagte in seinem „medicinischen Lexicon" 1826 [10] : Hahnemann ist ein anerkannt guter Pharmazeut und hatte sich als solcher durch Darstellung seines sogenannten Mercurius solubilis und zum Theil durch seine Abhandlung über Arsenikvergiftung, wenn gleich nach ihm diese Lehre um ein Bedeutendes vervollkommnet ist, unverwelkliche Lorbeeren erworben."


So hat also Hahnemann's Forschergeist und eiserner Fleiss direkt und indirekt wichtige Beiträge zur Verbesserung der ärztlichen Heilwerkzeuge geliefert, Grundlagen der ärztlichen Kunst.

Arzneikunde

Die Arzneikunde beim Auftreten Hahnemanns

Die Begriffe von den Erscheinungen im gesunden und kranken Menschen wurden in Systeme gezwängt, welche von einzelnen Köpfen auf Grund vereinzelter Beobachtungen ausgedacht und den jeweiligen Ansichten und neuen Entdeckungen angepasst waren.


L. Hoffmann (1721-1807) fand, dass die meisten Krankheiten durch faule und durch saure Säfte entstanden, welche aus dem Körper entfernt oder mit „antiseptischen" und versüßenden" Mitteln verbessert wurden.
Stoll (1742-1788) lehrte, dass die Krankheiten unter dem Einfluss einer herrschenden Konstitution ständen, welche „durch die stehenden Witterungs- und epidemischen Fieber" bestimmt würde.
Kämpf (1726-1787) zeigte, dass die meisten Krankheiten ihren Sitz im Unterleibe hätten und durch „Infarkte" veranlasst würden.
Ende der 90er Jahre begann ausserdem noch das System des Schotten John Brown (1736 —1788) sich über Deutschland zu verbreiten. Brown trat mit großer Sicherheit auf. Nach seiner eigenen Ansicht hatte er als erster die Arzneikunst zu einer echten Wissenschaft erhoben, welche bald den Namen „Lehre der Natur" erhalten werde. Nach derselben besitzt jeder Mensch einen mehr oder weniger hohen Grad von Erregbarkeit. Auf dem richtigen Maße von Erregung beruht die Gesundheit. Krankheit entsteht entweder durch ein Übermaß von Erregung (Sthenie) oder durch Mangel an Erregung (Asthenie). Die Aufgabe des Arztes bestand einfach darin, die zu starke Erregung zu mäßigen, oder die zu schwache Erregung zu stärken. So wurden alle Krankheiten in zwei entsprechende Klassen eingeteilt, und ebenso die Heilmittel; es gab „sthenische" und „asthenische." Bei den auf übermässiger Kraft beruhenden Affektionen wandte man „reizentziehende" Mittel an, welche nach der Reihenfolge ihrer Wirkung diese waren: Aderlass, Kälte, Erbrechen, Purgieren, Schwitzen. Bei den asthenischen Krankheitsformen wurden sthenische Mittel verordnet, der Reihenfolge ihrer Heilkraft nach: Fleisch, Wärme, Verhinderung des Erbrechens, Purgirens, Schwitzens durch Fleischkost, Gewürze, Wein, Bewegung; ferner im höheren Grade des Leidens flüchtige Reize: Moschus, flüchtiges Alkali, Kampfer, Aether, Opium.<Rev>Vg. B. Hirschel, Geschichte des Brown’schen Systems, Dresden und Leipzig, 1846, S.37</ref> China wurde erst von den Anhängern Browns hinzugefügt. Die Kenntnis des Baues und der Verrichtungen des Organismus war nur von untergeordneter Bedeutung, da alles auf die Reize und den Grad der Erregbarkeit ankam. „So groß," sagte Brown, „ist die Einfachheit, auf welche die Arzneikunde zurückgebracht ist, dass ein Arzt, wenn er ans Krankenbett kommt, nur drei Dinge ins Reine zu bringen hat. Erstens ob die Krankheit allgemein oder örtlich sei, zweitens, wenn allgemein, ob sthenisch oder asthenisch, drittens vonwelchem Grade der Erregung sie sei. Hat er über diese drei Punkte sich Aufschluss verschafft, so bleibt ihm nichts übrig, als seine Heilanzeigen und seinen Kurplan festzusetzen und ihn durch die dienlichen Mittel auszuführen."[11]
Die Diagnose war Nebensache.
Zugleich mit Brown kam die von Schelling begründete  [12] Naturphilosophie auf. „Aechte Naturphilosophie," sagt Steffens, „hebt als solche jeden Gegensatz, jeden Streit der Meinungen und Hypothesen gegen andere Meinungen und Hypothesen auf, kann also keinen Gegner haben." „Ein wahres Wort" bemerkt dazu ein Rezensent. [13] Echte Naturphilosophie wusste alles, erklärte alles: „Die Naturphilosophie hat für das Erkennen die Priorität, denn sie ist das Erkennen des Erkennens, oder als das potenzierte Erkennen zu betrachten."
[14]
Bewunderungswürdig war die Bestimmtheit, mit welcher jede Erscheinung ohne Bedenken erklärt wurde. „Magnetismus ist Verwandlung des Sauerstoffs und Wasserstoffs in Kohlenstoff und Stick
stoff," sagt Steffens S. 91, und Schelling wusste [15] : Sauerstoff ist Prinzip der Elektrizität.
Der Wirbel der Naturphilosophie erfasste die Köpfe der größten Anzahl deutscher Gelehrten und der hervorragendstenÄrzte. Nur wenige entgingen demselben, wie Hufeland, A. v. Humboldt, Blumenbach, Treviranus, Sömmering, Wedekind.
Allgemein fehlte der Plan, nach welchem gearbeitet werden sollte.
Um die Mitte des 18. Jahrhundertes beschrieb Haller das Blut so: „Das Blut besteht obenhin betrachtet aus gleichen Theilen, ist gerinnbar, um so röther, je besser genährt das Thier ist; in einem schwächlichen, hungrigen Thiere ist es gelblicht. Die zuweilen beigemischte Weisse kommt meistens vom Chylus."
1789, circa 30 Jahre später lehrt J. Fr. Blumenbach, der berühmte Göttinger Professor[16] : „Das Blut ist eine Flüssigkeit seiner Art, von bekannter, bald stärkerer, bald schwächerer Farbe, welche beim Befühlen klebricht, warm, und da es durch die Kunst nicht nachgeahmt werden kann, unter die Geheimnisse der Natur zu rechnen ist." Hier war also in der langen Zeit kein Fortschritt zu erkennen.
1803 lehrte man schon [17] : „Das Blut ist aus 9 Theilen gemischt: dem riechbaren Stoff, dem fadenartigen Theile, Eiweissstoff, Schwefel, Gallerte, Eisen, Laugensalz, Natrum und endlich aus Wasser . . . Die Grundstoffe des Blutes sind: Wasserstoff, Kohlenstoff, Salpeterstoff, Grundstoff der Salzsäure, Phosphor, Schwefel, Oxygene, Kalkerde und Eisen."
Die physiologische Chemie hatte also große Fortschritte gemacht, von denen man überrascht war, und die Ansicht hatte, sie praktisch verwerten zu können.
Reich hielt den Sauerstoff für das einzig sichere Mittelgegen Fieber, welches in der übermäßigen Entwicklung und Anhäufung von Stickstoff, Wasserstoff, Kohlenstoff, Schwefel und Phosphor bestand. Er war Professor der medizinischen Fakultät in Erlangen und Berlin, und pries in öffentlichen Blättern und einer besonderen Schrift [18] ein Geheimmittel gegen Fieber an, welches er nur gegen pekuniäre Vergütung bekannt geben wollte. Das Mittel sollte in kurzer Zeit, oft plötzlich das Fieber abschneiden. Eine Kommission von vier Ärzten stellte Versuche in der Berliner Charite damit an, und fand es probat in einer Anzahl von Fällen. Auf das Gutachten dieser Kommission hin wurde dem Professor für Veröffentlichung seines Geheimnisses vom Könige von Preussen bewilligt „eine jährliche Pension von 500 Thaler mit Befreiung von Tax- und Stempelgebühren;" im Falle seines Todes ging die Hälfte davon auf seine Wittwe über. [19]
Dieses war bekannt, bevor die Veröffentlichung des großen Fiebermittels erschien, worauf man nun mit großer Spannung wartete. Endlich wurde die Wissbegierde befriedigt, im Herbst 1800. Das merkwürdige Fiebermittel bestand in Schwefelsäure und Salzsäure; Salpetersäure war unter Verhältnissen auch gut. [20]
Die „für Studirende und Aerzte" geschriebenen Lehrbücher der Therapie waren so buntscheckig wie die Landkarten. Die Ontologie, die Idee, dass Krankheit ein fremdartiges, im Körper sein Unwesen treibendes Ding ist, war von Galen her noch in großen Ehren. Deshalb stand die „ausleerende Methode" obenan. Weiter gab es eine exzitierende Methode, eine stärkende, eine schwächende Methode, eine besänftigende — antagonistische — restaurierende (nicht zu verwechseln mit der stärkenden) — eine adstringierende Methode, welche die Kohäsion vermehrte — eine relaxierende, welche die Kohäsion verminderte — eine derivierende, deobstruierende, resolvierende Methode, ferner eine specifische, antimiasmatische, antiseptische und antigastrische Methode. [21]

Arzneimittel beim Auftreten Hahnemanns

Die Arzneimittel wurden diesen Methoden angepasst; so gab es versüßende, verdünnende, auflösende, verdickende, blutreinigende, kühlende, ausleerende, schleimeinschneidende etc. Arzneien. Ein Simplex zu verordnen war ungewöhnlich. Man findet noch die Ansicht, dass ein Rezept aus einer Basis, einem Konstituens, einem Adjuvans, einem Korrigens und einem Dirigens bestehen müsse.
Kompositionen von 8, 10 und mehr Mitteln waren an der Tagesordnung. Es gab sogenannte „Magistralformeln," komplizierte Mischungen gegen gewisse Krankheiten, von „Autoritäten" zusammengesetzt, durch die „Erfahrung" geheiligt. Solche wurden in den Apotheken vorrätig gehalten, und man wagte nicht daran zu modeln.
Wie die erzählten Krankengeschichten in den Journalen ausweisen, wurden die Rezepte bei akuten Krankheiten häufig alle Tage, bei chronischen alle 2 —3 Tage gewechselt.. Und welche unglaublichen Mengen von Arzneien wurden dem kranken Körper eingeflößt! Darin übertrafen sich die verschiedenen Systeme gegenseitig.

Die tiefer liegenden Gründe für diesen Wirrwarr sahen diese Ärzte selbst nicht ein. Sie verstanden nicht zu beobachten. Statt Tatsachen zu sammeln und nur Tatsachen zu sammeln, und keine weiteren Schlüsse daraus zu ziehen, als soweit diese Tatsachen reichten, knüpften sie an einzelne Beobachtungen an, machten Vergleichungen, schufen Theorien, und ordneten die Dinge diesen Theorien unter. Zum Überfluss verlieh die Naturphilosophie diesen Spekulationen Flügel, und man hob sich vollends aus der Wirklichkeit in die Welt der Phantasie.
Dazu kam, dass das Streben nach Erkenntnis bei einem großen Teil, der Ärzte sehr darnieder lag. Darüber wurde häufig Klage geführt. Prof. Baldinger bedauerte, dass nicht allein viele Ärzte, sondern auch viele Professoren wenig Studieneifer zeigten. [22]

Die ärztliche Kollegialität entsprach dem Grade des Wissens. „Ein wütiger Parteigeist," schrieb Prof. Roose 1803 [23] , „hat sich vieler Gemüter bemächtigt und droht sich immer allgemeiner zu verbreiten. Die Ärzte spalten sich in Sekten und stehen in heftigem, zum Teil unbegründeten, Widerspruch zueinander. Eine Meinungswut und eine Verfolgungssucht wird unter den Ärzten immer gewöhnlicher. "
Je unsicherer sich der Arzt in seiner Kunst fühlt, um so lauter der Ruf nach Staatshilfe gegen die Kurpfuscher und Quacksalber. Wedekind (1. c. S. 38): „Der wissenschaftliche Arzt geht zu Grunde, wenn die Regierung ihn nicht auf alle Art begünstigt."

Hahnemanns Leistungen in der Arzneikunde

Die erste größere medizinische Schrift von Hahnemann erschien 1784 [24] „Der grösste Theil der Aerzte," sagt Halmemann in der Vorrede, „macht sich damit nichts zu schaffen und überlässt sie dem Bader, dem Schäfer und dem Scharfrichter, gewiss mehr aus Unwissenheit, als aus Ekel. Der Ruhm, dergleichen Heldenkur verrichtet zu haben, überriecht den faulen Eiter bey weitem."

Das Verfahren der alltäglichen Ärzte und Wundärzte bestand zunächst in „Reinigung des Blutes," Aderlassen, Schröpfen, Schwitzen, Purgieren. Äußerlich waren die Bleipräparate, besonders Bleisalben und -pflaster die Hauptmittel.

Vom Autoritätsglauben der damaligen Zeit scheint Hahnemann auch als junger Arzt unberührt geblieben zu sein. „Das gewöhnliche Ende solcher Kurarten machen alte Weiber, der Scharfrichter, der Vieharzt, der Schäfer und der Tod. Bei dem allen hindert mich Ehrgeiz nicht, zu gestehen, dass Viehärzte grösstentheils glücklicher, dass ist geschickter in Heilung alter Wunden sind, als oft der schulgerechteste Professor und Mitglied aller Akademien. Man schreie nicht, dies sei blosse Empirie, ich wünsche mir ihre handwerksmässigen Kunstgriffe zu besitzen, die sich auf Erfahrungen gründen, welche ihnen freilich oft nur die Behandlung der Thiere an die Hand gegeben hat, die ich aber gerne gegen verschiedene medicinische Folianten eintauschen möchte, wenn sie ihnen dafür feil wären."

Den Mangel an einem Prinzip zur Auffindung von Heilkräften beklagt er schon damals. Wenn Hahnemann sich von einer Sache überzeugt hielt, so trat er mit der größten Bestimmtheit auf und ließ sich so leicht nicht davon abbringen. "Ich habe," sagt er, „die ausgesuchtesten und zahlreichsten Erfahrungen vor mir und verlange unumschränkten Glauben in diesem Stücke."

Wo es nötig war, riet er energisch einzugreifen. [25]

Er erzählt von einer Karies des Mittelfußknochens der großen Zehe mit unterminierenden Fisteln und jauchigem Eiter. „Ich wurde gerufen. Ich erweitere die Wunde, verbinde sie etliche Tage mit Digestiv (eine Abreibung von Perubalsam oder Kopaivabalsam mit 2-3 Teilen Eidotter), den Knochen schabe ich reine aus und sondre das Verdorbene ab, verbinde ihn mit Alkohol und sehe dem Erfolge zu." Später legte er abwechselnd Verbände von Sublimatwasser und Digestiv an. Innerlich gab er stärkende Arzneien und allmälich trat die Heilung ein. Das Ausschaben des kariösen Knochens wird heute als eine Errungenschaft der neueren Zeit hingestellt. Jedenfalls zeigt Hahnemann durch seine Wund- und Geschwürsbehandlung, dass er auch als Chirurg Vorzügliches geleistet hat und die Masse seiner Zeitgenossen überragte, und er hatte nicht Unrecht am Schluss zu sagen:
„Man wird mir nicht verargen, dass ich auf eine so allgemein anwendbare Heilung der alten bösartigen Geschwüre dringe, und sie allen übrigen, doch mit Einschränkung, vorziehe; die ausgesuchtesten, gehäuftesten Erfahrungen sind auf meiner Seite. Wer so viel Beobachtungen in diesem Falle anzustellen Gelegenheit gehabt hat, als ich, wer sich so von dem Wohlsein seiner Nebenmenschen dahinziehe und bestimmen lässt, wie ich von mir fühle, wer so sehr die Vorurtheile und die Vorliebe für das Alte und Neuere, oder überhaupt für das Ansehn irgend eines großen Namens hasset und sich so eifrig bestrebt, selbst zu denken und zu handeln, wie ich dies Zeugnis bei mir fühle, der kann, wie mich deucht, nicht leicht auf eine andere oder bessere Behandlung alter Geschwüre kommen, kann folglich mit mir auch vorzügliche Erfolge seines Fleisses sehn, die größte unter den Belohnungen, die ein rechtschaffner Arzt erwarten darf, Erfolge, die mir fast nie trügten, da sie vor Andern hingegen bei andrer Behandlung fast stets verschwanden."

 

Nicht minder günstige Aufnahme bei seinen ärztlichen Kolegen auch fand die Schrift: "Unterricht für Wundärzte über die venerischen Krankheiten, nebst einem neuen Queksilberpräparate. Leipzig 1789". In der „Medic. chir. Zeitung" [26] las man:

„... Das Buch ist aber nicht nur die Arbeit eines Mannes von Kopf und Gelehrsamkeit, sondern auch in einer aphoristischen Kürze geschrieben, wozu nur der gelehrte Arzt in Hunter, Schwediaur, André etc, den Kommentar findet. — Es ist ein Buch für akademische Vorlesungen, obgleich der Verfasser es nicht dafür bestimmt hat".

Bald erschien das Buch über Syphilis von A. R. Vetter: „Neue Curart aller venerischen Krankheiten nach Hunter, Girtanner und Hahnemann." [27]

Ueber seine Uebersetzung von Cullen's Materia medica schreibt die „Medicinisch-chirurgische Zeitung." [28] :

„Herr Hahnemann hat diese Uebersetzung, der Dunkelheit des Vortrages im Original ungeachtet, mit besonderem Fleiss verfertigt . . . Die Anmerkungen des Herrn Uebersetzers sind grösstentheils sehr lehrreich, und auch durch seine hin und wieder angebrachten Berichtigungen hat er den Werth dieses wichtigen Werkes erhöhet."

Hahnemann und die Psychiatrie

Die Art und Weise, wie früher (wir brauchen nicht einmal bis auf Hahnemanns Zeit zurückzugehen) die Geisteskranken behandelt wurden, kennt jeder Arzt. Aufgeregten und widerspenstigen Kranken dieser Art begegneten die Ärzte wie wilden Tieren; man wollte Angst, Schrecken, Entsetzen in ihnen erzeugen. Körperliche Züchtigungen, Ekelkuren waren etwas Alltägliches. Tobsüchtige wurden auf ein horizontales Brett geschnallt, das mit grosser Schnelligkeit um eine vertikale Achse gedreht wurde, in den sog. Drehstuhl gesetzt etc. „Eine als gut eingerichtet geltende Irrenanstalt erschien daher in gewisser Beziehung einer Folterkammer nicht ganz unähnlich," sagt Westphal. yref>Psychiatrie und psychiatrischer Unterricht, Berlin 1880.</ref>  Diese Behandlung wurde auch von Ernst Horn in der ihm 1806 übertragenen Irrenabtheilung der Berliner Charite, damals die grösste Irrenanstalt Preussens, eingeführt. Ausserdem erfand er noch den „geschlossenen Sack", worin die Maniakalischen zugebunden wurden, und in welchem sie, nach Westphal, da liegen bleiben mussten, wo sie eben hingelegt waren.
„Man scheut sich zu gestehen," sagt Westphal 1880, „ein wie kurzer Zeitraum dazwischen liegt, dass Geisteskranke Sonntagsbesuchern vou Hospitälern und Arbeitshäusern als eine Art Sport gezeigt und zum Vergnügen der Besucher gereizt wurden."

Hahnemanns psychiatrischer Standpunkt war dieser:

„Nie lasse ich einen Wahnsinnigen je mit Schlägen oder andern schmerzhaften körperlichen Züchtigungen bestrafen, weil es für Unvorsetzlichkeit keine Strafe gibt, und weil diese Kranken bloss Mitleid verdienen und durch solche rauhe Behandlung immer verschlimmert, wohl nie gebessert werden." [29] So behandelte und heilte er 1792 den wahnsinnig gewordenen, als Schriftsteller bekannten Geh. Kanzleisekretär Klockenbring aus Hannover. Nach seiner vollkommenen Wiederherstellung vom Wahnsinn zeigte dieser Unglückliche seinem Retter „oft mit Thränen die Reste der Schwielen von Stricken, deren sich seine vorigen Wärter bedient hatten, ihn in Schranken zu halten."
Hahnemann marschierte also auch hier an der Spitze. Dass er anfangs den Aderlass anwandte, ist natürlich; aber wir finden ihn stets sehr vorsichtig dabei zu Werke gehen und schon 1784 gegen die übermäßigen. Blutentziehungen ankämpfen. 1832 schreibt Hahnemann in einem Briefe an M. Müller  [30] , dass er seit über Jahren die Aderlass-, Brech- und Purgiermittel verschmähe. 1797 hat er indess noch Blutziehungen angewandt, wie aus einer Abhandlung in Hufeland's Journal hervorgeht, und 1800 war er wenigstens noch kein absoluter Gegner derselben, „In sthenischen acuten Uebeln thun Aderlass und möglichste Entfernung aller Art von Reizen weit mehr als die wässerigen Tränke." [31]

Die Krätze

Die Krätze aus frühmedizinischer Sicht

In Bezug auf die Krätze nahm Hahnemann einen sehr „vorgeschrittenen" Standpunkt ein, den er indess über 30 Jahre später vollständig änderte. Abgesehen von bloßen Andeutungen älterer Schriftsteller hat Bonomo in Livorno schon 1683 die Krätzmilbe richtig abgebildet, weshalb ihn Wichmann[32] mit Recht den Begründer der Krätztheorie nennt. Bonomo gestand ein, dass er durch arme Weiber und Sklaven in Livorno darauf gebracht sei, welche sich die Milben mit Nadeln gegenseitig herausgesucht hätten.

Die Parasitenlehre wurde indess wenig oder gar nicht beachtet, bis Linné 1757 (Exanthemata viva) und der obengenannte Wichmann 1786 dieselbe in Erinnerung brachten.

Wichmann stand in seiner Schrift bereits vollständig auf dem heutigen Standpunkte. In England wurde die Krätze bereits allgemein als „lebender Ausschlag" behandelt, in Frankreich warnte die medizinische Fakultät noch vor den äußeren Mitteln, mit denen man dort im Volke gegen dieses Leiden vorging. [33]

Nicht viel anders war es in Deutschland. Wichmann wurde überhört. Es herrschte die Ansicht vor, die Milbe sei das Produkt, nicht die Ursache der Krätze. So nahm Joh. Jak. Bernhard[34] die Milbe in der Krätze und „die mikroskopischen Thierchen in andern contagiösen Krankheiten" nicht für das Kontagium selbst an. Er hielt sie aber für wesentliche Bestandteile der Ansteckungsstoffe, „wie die Thierchen im Samen und in der Vaccinalymphe."

Auch zufällig könnten sich wohl dergleichen Tierchen erzeugen ohne ansteckend zu sein wie z. B die Läusesucht bewiese.

Friedrich Jahn bestreitet 1817 energisch die Parasitentheorie der Krätze. [35] Er hält die „unleugbaren Krätzmetastasen" und vieles Andere entgegen und urteilt zuletzt: „Wir können also diese ganze Theorie als ungegründet annehmen."

J. P. Frank tritt in seinem 1821 vollendeten Buche „De curandis hominum morbis" als einer der entschiedensten Vertreter der causa viva auf, will die Krätzmilbe im Anfang töten, aber bei länger dauernder Krätze hält er „unvorsichtige Unterdrückung" für sehr gefährlich. Er unterscheidet 13 Arten von „symptomatischer Krätze," so eine scorbutische, eine hypochondrische, critische, plethorische etc.; auch eine „P. neogamorum," eine Krätze der Neuvermählten ist darunter.

Ferdinand Jahn, ein talentvoller Schüler Hensingers und Schönleins, ein Anhänger der naturhistorischen Schule, hat 1828 folgende Ansicht:[36] „Die chronischen Ausschläge sind in den meisten Fällen die äussern Erscheinungen von Dyskrasien, die mit fester, starker Wurzel im Innern des Organismus haften . . . Krätze, der die Hautblüthen genommen wurden, entwickelt ihre im Innern des Organismus ruhende Wurzel stärker, sodass jene Erscheinungen, die unter dem Namen der Kratzmetastasen berüchtigt sind, sich einstellen." Solchen Ansichten gegenüber vergesse man nicht, dass damals Krätzausschläge mit dichten Eiterpusteln über den Körper und ausgedehnten Hautverschwärungen keine Seltenheit waren.

Autenrieth, bekanntlich ein Schüler J. P. Franks, schreibt unter dem Titel: „Nachkrankheiten, welche auf vertriebene Krätze folgen" im Jahre 1808:[37]„Die furchtbarste und in unsern Gegenden häufigste Quelle chronischer Krankheiten der Erwachseuen sind die mit Schwefelsalbe oder überhaupt mit fettigen äussern Mitteln schlecht behandelten Rauden- oder Krätzauschläge. Ich habe das Unglück, das bei Rauden der untern Stände, und denen, die eine sitzende Lebensweise haben, dadurch entsteht, so häufig hier gesehn, und ich sehe es täglich in so mannigfaltiger, trauriger Gestalt, dass ich keinen Augenblick anstehe, es für einen der Aufmerksamkeit jedes Arztes, selbst jeder Obrigkeit, der irgend auch das Gesundheitswohl ihrer Untergebenen am Herzen liegt, würdigen Gegenstand laut zu erklären."

Nachkrankheiten von „verschmierter Krätze" sind nach Autenrieth I. c: „Fussgeschwüre — Lungenschwindsucht — eine Art hysterischer Chlorosis — weisse Kniegeschwulst — Gelenkwassersucht — Amaurose mit Verdunkelung der Hornhaut — Glaukom mit Amaurose — Geistesverwirrung — Lähmung — Schlagfluss — gekrümmter Hals" etc.

Trotz alledem vertrat Autenrieth die Parasitentheorie in einer für seine Zeit ungewöhnlichen Ausdehnung. Man hielt eben dafür, dass die Milbe zugleich Trägerin eines Giftes sei, welches von der Oberfläche nicht in das Innere des Körpers „verschmiert" werden dürfe, und dass andererseits die Krätze das auf die Haut geworfene Produkt innerer Krankheiten sein könne.

Hufeland wird es bestätigen:[38]„Aber die Krätze kann auch als Product und Symptom innerer Krankheiten erscheinen — Scabies spuria. Hier ist sie zwar nur Form einer andern Krankheit, aber auch hier kann sich zuletzt ein Contagium entwickeln und so ansteckend werden. Dahin gehört die syphilitische, die scrophulöse, die arthritische und scorbutische Krätze, auch die critische, ein krätzartiger Ausschlag, mit und durch welchen die critische Lösung sowohl acuter, als chronischer Krankheiten erfolgt . . . Die in Pusteln gefundenen Milben sind nicht Ursache, sondern Wirkung, Parasiten der Krätze . . Aber hierbei (bei der Behandlung) treten manche Schwierigkeiten und wichtige Rücksichten ein. Man kann nämlich durch eine bloss örtliche Anwendung des Specificums auf die Haut zwar die krankhafte Thätigkeit der Haut supprimiren, aber das Contagium selbst, was schon tiefer eingedrungen ist, wird dadurch nicht zerstört, und die Folge ist, entweder dass die Krätze immer wieder erscheint, oder, was noch schlimmer ist, sich auf innere Theile wirft und oft sehr gefährliche und hartnäckige Metastasen erzeugt. So kann Lungensucht — Lungenkrätze — Wassersucht, Magenkrampf — Magenkrätze - Epilepsie und alle Arten von Nervenkrankheiten die Folge sein.
Noch bedenklicher wird dies, wenn die Krätze complicirt mit einer andern Krankheit oder gar ein Product oder Crise einer andern Krankheit ist."

Im Jahre 1835 konnte der belesene Rau[39] noch schreiben: „Die Behauptung, welche ein bekannter Schriftsteller (Krüger-Hansen?) unlängst aufgestellt hat, dass gar keine nachtheiligen Folgen von schnell unterdrückter Krätze zu befürchten seyen, wird durch so zahlreiche Beobachtungen widerlegt, dass es nutzlos seyn würde, mit einem Widerspruche hervorzutreten."
Nebenbei sei daran erinnert, dass man zu jenen Zeiten noch eine sehr mangelhafte Diagnostik der Hautkrankheiten hatte, dass Skabies, Ekzem, Impetigo, Prurigo etc. noch nicht voneinander unterschieden wurden, und für verschiedene Intensitätsgrade einer und derselben Krankheit galten.

 

Hahnemann und die Krätze

Hat Hahnemann die Krätzmilbe gekannt? Und in welcher Zeit hat er Kenntniss von ihr gehabt? Bei der Übersetzung von Monros Arzneimittellehre, 1791, schreibt Hahnemann in einer Anmerkung (II. 49):

„Lässt man einen kürzlich angesteckten Krätzigen mit wohlgesättigtem, schwefelleberlufthaltigem Wasser täglich etliche Male waschen, auch wohl das leinene Zeug hineintauchen, so ist das Uebel binnen etlichen Tagen verschwunden, und kommt ohne eine neue Ansteckung nicht wieder. Müsste sie aber nicht wieder kommen, wenn eine Schärfe der Säfte zum Grunde läge? Diese Erfahrung habe ich sehr oft gemacht und: vermuthe nebst Andern einen lebendigen Stoff als Krankheitsursache. Alle Insecten (wozu bekanntlich. damals die Krätzmilbe gezählt wurde) und Würmer werden durch Schwefelleberluft getödtet."

Später betont er in demselben Werke in einer Anmerkung nochmals (II. 441), dass Krätze ein „lebendiger Ausschlag" sei.

Im Jahre 1795 las man von Hahnemann eine Abhandlung „Ueber den Ansprung (crusta lactea). MBk (1795), 3. Bd., 4. St., S. 701-705" in J. Fr. Blumenbachs medizinischer Bibliothek. [40]Dieses Werk erschien nicht in bestimmter Zeitfolge. Es finden sich in diesem Bande Arbeiten, welche bereits 1703 verfasst sind. Hahnemann hat seinem Aufsatz kein Datum zugesetzt, sodass die Zeit des Niederschreibens sich nicht genau bestimmen lässt.

Er erzählt aber darin, dass er sich zur Zeit der beschriebenen Maßnahmen auf dem Lande befunden habe. 1794 bis 1796 hielt er sich in Pyrmont und Braunschweig auf; 1792 bis 1794 bei Gotha. In diese letztgenannte Zeit fällt also die folgende Beobachtung. In dem Dorfe, (wahrscheinlich Molschleben) „wo meine Kinder vollkommene Gesundheit genossen", waren viele Kinder mit der sogenannten Milchkruste behaftet und zwar in ungewöhnlichem Grade. Da Hahnemann glaubte, eine Übertragung dieser Affektion bemerkt zu haben, so suchte er eine Berührung seiner Kinder mit den infizierten Dorfkindern zu verhüten. Einem derart kranken Knaben gelang es indess, zu ihnen zu kommen, „und ich ward ihn gewahr, wie er vertraulich mit ihnen spielte. Ich entfernte ihn; aber die Ansteckung war geschehn." Der Knabe hatte Hahnemann's Kinder geküsst. Es bildete sich das Uebel zuerst bei dem einen, dann bei seinen 3 andern Kindern aus.
„Ich übergoss trockene Schwefelleber — Austerschalenpulver mit gleichen Theilen Schwefel gemischt und 10 Minuten in Weissglühe erhalten — mit warmem Wasser. Es entsteht eine gelinde schwache Auflösung. Hiemit bepinselte ich das Gesicht der zwey, welche den Ausschlag am stärksten hatten, alle Stunden, zwey Tage nach einander. Schon nach dem ersten Befeuchten merkte ich, dass das Uebel still stand, und allmählig heilte." Dasselbe Verfahren wandte er bei den andern Kindern mit Erfolg an.
„Das Mittel zersetzt sich auf der Haut durch die freye Luft allmälig, und es entwickelt sich unter üblem Geruche die Schwefelleberluft, welche, wie bekannt, die meisten Insecten plötzlich tödtet."
„Ist der Ansprung nicht ein Hautübel blos von Ansteckung? Hat die Ansteckung nicht etwa gar kleine Thierchen zum Miasm?"
„Ich getraue mir in der Praxis keine Gelegenheit wieder zu finden, die mir die Bejahung dieser Frage so positiv an die Hand gäbe, als diese, die ich so ganz in meiner Gewalt hatte."
„Meine Kinder bekamen keine Abführungsmittel, noch sonst etwas, da sie übrigens gesund waren und gesund blieben."

1791 erzählt er (Monro I. 76), dass er Krätze durch bloss innerliche Arznei geheilt habe, was dadurch zu erklären war, dass man mit dem Namen "Krätze" einen viel weiteren Begriff verband, als heutzutage. „Krätze" war eine Diagnose, welche weit über die Grenzen unseres heutigen Begriffes Skabies, Krätze, hinausging. So hatte sich ihm allmählich der Gedanke aufgedrängt, dass den Hautkrankheiten ein „Etwas" zu Grunde liege, welches auch andere Krankheiten zu erzeugen im Stande sei, und von Generation zu Generation sich forterbend die entfernte Ursache für viele Krankheiten bilde. Außer dieser Psora blieben noch als Grundursachen übrig die Sycosis, mit dem Tripper zusammenhängende Erscheinungen, und Syphilis. Wenn auch etwas Wahres in diesen Ansichten enthalten sein mag, so ging doch Hahnemann damit weit über die Wirklichkeit hinaus und geriet in einen großen Irrtum.

 

Hahnemanns frühe Reputation als Arzt

Über Hahnemanns Ruf als ausübender Arzt in damaliger Zeit berichten Zeitgenossen.

Brunnow erzählt[41] : „In der That gelangen ihm schon im Anfange seiner ärztlichen Thätigkeit vermöge seines einfachen Heilverfahrens viele ausgezeichnete Kuren, und es wurde ihm überall, wo er auftrat, der Ruf eines ebenso umsiehtsvollen als glücklichen Praktikers zu Theil"
Die Medicinisch-chirurgische Zeitung (1799 II. 411) schreibt: „Hahnemann hat sich als ausübender Arzt einen Nahmen in Deutschland erworben."
In derselben Zeitschrift
[42]wird er als ein Arzt geschildert, „dem wir schon so manchen schönen Beytrag zur Vervollkommnung unserer Wissenschaft schuldig sind."
In den Allgemeinen medicinischen Annalen des 19. Jahrh. wird im Novemberheft 1810 Hahnemann ein Mann genannt, „welcher seit länger als 20 Jahren als denkender Arzt und guter Beobachter bekannt ist . . . und dabei seinen Ruf als geschickter und glücklicher Practiker fortdauernd erhalten hat."
Hufeland nennt ihn 1798
[43]einen Mann, „dessen Verdienste um unsere Kunst entschieden genug sind," und ferner[44] „einen der vorzüglichsten Aerzte Teutschlands," . . . „einen in Erfahrung und Nachdenken gereiften Arzt."
1800 sprach Daniels[45] von dem „durch seine Schriften berühmten Hahnemann."
In demselben Jahre schrieb Bernstein im „practischen Handbuch für Wundärzte": „Samuel Hahnewann, ein sehr verdienter Arzt, ist bekannt durch sein vortreffliches Quecksilberpräparat, nemlich den Merc. solub., ferner durch seine Weinprobe und überhaupt durch seine chemischen und pharmaceutischen Schriften, und hat sich auch um Wundärzte verdient gemacht. Er gab für solche heraus: Anleitung alte Schäden und Geschwüre zu heilen 1784, und: Unterricht für Wundärzte über die venerischen Krankheiten. Leipzig 1786."
Im Jahre 1791 erwählte ihn die Leipziger ökonomische Gesellschaft, dann die Kurfürstlich-Mainzische Akademie der Wissenschaften, später die physical. medic. Gesellschaft zu Erlangen zu ihrem Mitgliede.
1798 las man in der Medicinisch-chirurgischen Zeitung (IV. 192) diese Notiz: „Mietau. Hier soll eine provisorische Universität errichtet werden. Man sagt, für die medicinische Fakultät seyen Herr Dr. Samuel Hahnemann zu Königslutter, Herr Dr. Samuel Naumburg in Erfurt und Herr Dr. Frank in Mühlhausen bestimmt."

Hahnemann als Reformator

Schon 1784 spricht er verächtlich von den „Modeärzten". 1786 eifert er in seinem Buche über den Arsenik gegen den damaligen elenden Zustand der Arzneikunde, gegen die „Pfuscherärzte, der fruchtbarsten Quelle des Todes", welche unter anderen den Arsenik in Substanz auf Geschwüre aufpulverten, dadurch oft den Tod der Kranken herbeiführten, und welche dieses Mittel in leicht tötlichen Gaben gegen Intermittens gäben etc. 1791 hatte er bei Monro zu übersetzen, dass Canthariden die krankhaften Säfte auflösten. Hahnemann bemerkt dazu (II. 248):

„Dies ist der gewöhnliche Wahn, dass die Geschwüre von blasenziehenden Mitteln nur die bösen Säfte ausziehn. Wenn die Säftemasse während ihres Kreislaufs, im Ganzen genommen, von gleicher Mischung durchaus ist, wenn die aushauchenden Öffnungen der Blutgefässe eine nicht sehr abweichende Ausdünstungsmaterie, bei sonst gleichen Umständen, verdampfen, so begreift kein vernünftiger Physiolog, wie ein blasenziehendes Mittel electiv auf den Ort seiner Anwendung nur die schädlichen Theile der Säfte versammeln und herausziehen sollte. In der Tat strotzt die Blase unter dem Pflaster blos von einem Theile des gemeinsamen Blutwassers, wie es sich auf dem aus der Ader gelassenen Blute sammeln würde. Doch auch Aderlasse sollen nach dem Wahne dieser Kurzsichtigen nur das böse Blut abziehn und fortgesetzte Laxanzen nur die bösen Säfte ausleeren! Ich entsetze mich vor dem Schaden, den so allgemein eingeführte Thorheiten anrichten."

So nimmt Hahnemann an zahlreichen Stellen jede Gelegenheit wahr, seine Amtsbrüder auf die immer mehr von ihm erkannten Torheiten aufmerksam zu machen, von denen er selbst sich allmälich loszumachen das redlichste Bestreben zeigte.
1790 tritt er kräftig gegen die damaligen Arzneimittellehrer auf (Cullen I. 58):

„Die alten Arzneimittellehrer sind mit ihren Seichtheiten, Unbestimmtheiten, Weibermährchen und Unwahrheiten bis in die neueste Zeit nachgebetet worden — einige wenige Ausnahmen abgerechnet — und weder die Erzväter noch ihre schwachen Jünger verdienten Schonung. Wir müssen uns mit Gewalt von diesen vergötterten Gewährsmännern losreissen, wenn wir in einem der wichtigsten Theile der practischen Arzneikunst das Joch der Unwissenheit und des Aberglaubens losschütteln wollen. Nun ist es hohe Zeit."

Aus dem Gewirr von „Beobachtungen" und „Erfahrungen" die Wahrheit herauszufinden, schlug er schon sehr bald den Weg ein, den alle großen Ärzte gingen; er vermied das geschäftige Handeln am Krankenbette, wie es seine Zeitgenossen übten, und drang seinen vielmischenden Kollegen gegenüber auf:

 

Einfache Verordnungen - Hahnemann tendiert zu Einzelmitteln

Um dieses gebührend zu würdigen, erinnere man sich daran, dass damals noch gelehrt wurde, ein regelrechtes Rezept müsse aus verschiedenen Teilen bestehen. Darin war natürlich auch Hahnemann unterrichtet, und er gestand später ein, dass die Mischerei „seinem Gebeine hartnäckiger angehangen habe, als dasMiasma irgendeiner andern Krankheit." Wenn man ihn daher in den ersten Jahren seiner Praxis noch hie und da Gemische, meistens von 2 Mitteln, geben sieht, so beobachtet man andererseits, dass er diesen 'Unfug' immer weiter von sich streift. Schon 1784[46] redet er der einfachen Behandlungsweise das Wort „statt des Mischmasches von widersprechenden Verordnungen." 1791 fragt er, als Monro ein kompliziertes Verfahren gegen Leberverhärtung vorschlägt (Monro II. 288):

„Was half denn nun eigentlich? . . Solange wir nicht einzelne Mittel fortgesetzt anzuwenden uns bequemen, und die begleitenden Umstände, Lebensordnung u. s. w. sorgfältig zu jedem Falle abwägen, wird unsre Arzneikunde noch lange ein Gemisch von Mutmassung, Wahrheit und wahrscheinlicher Dichtung bleiben."

Im Jahre 1796 schreibt Hahnemann in Hufelands Journal[47]

„Das Wunderbarste bei dieser Specification der Tugenden einzelner Droguen bleibt für mich immer der Umstand, dass man die noch jetzt die Arzneikunst diffamierende Methode, mehrere Arzneien zugleich in Ein Recept kunstmässig zu verflechten, zu den Zeiten erwähnter Männer (einzelne Arzneimittellehrer) so weit trieb, dass es selbst einem Oedipus unmöglich war, etwas von der Wirkung einem einzelnen Ingredienz des Mischmasches ausschliesslich zuzueignen, und dass man damals, fast noch seltner als jetzt, eine einzelne Drogue als Arznei allein verordnete. Wie können nun aus einer so verwickelten Praxis die Kräfte der einzelnen Arzneien unterscheidbar hervorgehn?"
„Hier entsteht die Frage: Ist es gut, vielerlei Arzneien in , Ein Rezept zu mischen, Bäder, Klistiere, Aderlässe, Blasenzüge, Umschläge und Einreibungen zu gleicher Zeit, oder dicht auf einander zu verordnen, wenn man die Arzneikunde zu ihrem Gipfel heben, wirksam heilen, und in jedem Falle gewiss erfahren will, was die Heilmittel gewirkt haben, um sie in ähnlichen Fällen mit desto grösserem oder gleichem Glücke wieder anwenden zu können?"
„Der menschliche Geist fasst nie mehr als einen einzigen Gegenstand auf einmal, kann fast nie das Resultat zweier zugleich auf Ein Objekt wirkenden Kräfte auf die Ursachen proportionell repartiren; wie kann er die Arzneikunde zu einer grösseren Gewissheit bringen, wenn er sich, wie es scheint, recht absichtlich bemüht, eine Menge verschiedenartiger Kräfte, auf einmal gegen eine krankhafte Körperveränderung spielen zu lassen, wovon er oft weder letztere deutlich kennt, noch die ersteren einzeln, geschweige in Verbindung."
„Wer sagt uns, ob nicht das Adjuvans oder Corrigens in dem vieltheiligen Recepte als Basis wirke, ob das Constituens der ganzen Zusammensetzung nicht eine andere Richtung gebe? Braucht das Hauptmittel, wenn es das Rechte ist, ein Beförderungsmittel? Sieht es mit seiner Fasslichkeit nicht schwierig aus, wenn es noch ein 'Besserungsmittel' bedarf? Oder sollte nicht noch ein Dirigens nöthig sein? Ich dächte! Die bunte Reihe zu vollenden und der Schule Genüge zu thun."
„Ich getraue mir, zu behaupten, dass je zwei und zwei Arzneien zusammengesetzt fast nie, jedes seine eigne Wirkung in dem menschlichen Körper äussern, sondern fast stets eine von der Wirkung der beiden einzelnen verschiedene, — eine Mittelwirkung, eine Neutralwirkung, — wenn ich den Ausdruck von chemischen Verbindungen entlehnen darf."
„Je zusammengesetzter unsre Recepte sind, desto finstrer wird es in der Arzneikunde."

„Darf ich's gestehen, dass ich seit mehreren Jahren nie etwas anderes, ausser ein einziges Mittel auf einmal verordnet und nie wiederholt habe, als bis die Wirkung der vorigen Gabe exspirirt war; — ein Aderlass allein, — ein Ausleerungsmittel allein, — und immer nur ein einfaches, nie ein gemischtes Mittel — und nie ein anderes, als • bis ich mit der Verrichtung des erstern aufs Reine war? Darf ich's gestehen, dass ich auf diese Art glücklich und zur Zufriedenheit meiner Kranken geheilt und Dinge gesehen habe, die ich sonst nie gesehen hätte?"[48]

» Von den Kräften eines komponirten Arzneimittels lässt sich nichts a priori schliessen. Jedes Mittel hat seine eigne Tendenz. Mehrere in verschiedenen Richtungen mit verschiedener Kraft gegen einander stossende Kugeln von ungleichartiger Masse und Grösse, welchen Weg werden diese nehmen? Wer sieht das voraus?"  [49]

Treffend und scharf kritisiert Hahnemann 1808 den Zustand der damaligen Arzneikunst[50] , indem er die von älteren und jüngeren Praktikern angewandten Curarten bespricht:

» Die Curart der meisten Krankheiten durch Ausfegen des Magens und Darmkanals —; die Curart, die ihre Arzneipfeile gegen angebliche Schärfen und Unreinigkeiten in dem Blute und den übrigen Säften, gegen krebsartige, rhachitische, gegen Scrophelschärfe, Gichtschärfe, Flechtenschärfe, gegen scorbutische Schärfe richtet —; die Curart, welche bei den meisten Krankheiten irgend eine Art von Grundübel, entweder Zahnarbeit, oder Fehler im Gallensystem, oder Hämorrhoiden, oder Infarctus, oder Verstopfungen in den Gekrösdrüsen, oder Würmer annimmt und so draufhin curirt —; die Curart, welche in Krankheiten nichts als Schwäche vor sich zu haben, nichts als reizen und abermals reizen zu müssen wähnt (was sie auch stärken nennen) —; die Curart, welche den kranken Körper bloss für eine chemisch zersetzte Masse ansieht, die durch chemische (stickstoffhaltige, 'oxygenhaltige, wasserstoffhaltige) Gegenmittel wieder in die rechte Mischung gesetzt werden müsse, — eine andere Curart, die in Krankheiten nichts als Schleim zur Grundursache annimmt; eine andere, die nur Verdickung der Säfte; eine andere, die nur Säure, eine andere, die nur Fäulniss bekämpfen zu müssen glaubt u. s. w."
„Man denke sich nun, in welche Verlegenheit ein Arzt am Krankenbette kommen muss, ob er diese oder jene Methode zu befolgen habe, in welches Gedränge er kommen muss, wenn weder die eine noch die andere Curart anschlägt, wie er da bald von dieser, bald von jener Absicht verleitet, bald diese, bald jene Arzneiformel zu verschreiben, bald wieder wegzusetzen und wieder eine andere zu verschreiben genöthigt wird, auch, weil gewöhnlich keins auf den Krankheitsfall passen will, durch die Stärke der Gaben der kräftigsten, theuersten Arzneien erzwingen zu müssen glaubt, was er durch kleine, seltne Gaben einfacher, aber treffender Arznei nicht mit Gelindigkeit zu heilen weiss."

Kritik an den Arzneimittellehren

Dr. Samuel Hahnemann fand die Arzneimittellehren seiner für nicht glaubwürdig.

„Und woher haben denn die Arzneimittel-Lehren diese Angaben? Doch wohl nicht von einer unmittelbaren Offenbarung? Wahrlich! fast sollte man glauben, sie müssten sie von einer unmittelbaren Eingebung von oben her haben, denn aus der Praxis der Aerzte können sie nicht herrühren, die, wie bekannt, es unter ihrer Würde halten, eine einzelne einfache Arzneisubstanz, und nichts weiter, in einer Krankheit zu verordnen, und lieber die Kranken sterben, lieber die Arzneikunst ewig Urkunst sein liessen, ehe sie sich ihres gelehrten Vorrechts begäben, kunstmässig zusammengesetzte Formeln zu verordnen."
„Die meisten angeblichen Tugenden der einfachen Arzneien sind ursprünglich blos in der Hausmittelpraxis aufgekommen und von gemeinen Leuten und Laien auf die Bahn gebracht worden . . . . Diese nackten Nachrichten sammelten sehr kürzlich, oberflächlich und tumultuarisch, mit Aberglauben und Vermuthungen durchwebt, die alten Kräuterbüchermacher Matthioli, Tabernämontan, Gesner, Fuchs, Lonicer, Ray, Tournefort, Bock, Lobel, Thurneisser, Clusius, Bauhin ete. mit dem, was der quellenlose Dioscorides davon in gleichem Tone gesammelt hatte, untermischt, und mit diesem uncritischen Verzeichnisse ward dann unsere gelehrt scheinende Materia medica angefüllt; eine schrieb der andern nach, bis auf unsere Zeiten. Dies ist ihr (eben nicht zuverlässiger) Ursprung."
„Die wenigen Bücher, welche Ausnahmen hiervon machen (Bergius und Cullen) sind desto magerer in Angabe der Kräfte der Arzneien; da lernt man, da sie meistens, — besonders letzterer — das Schwankende und Unbestimmte wegliessen, wenig Positives."

Solche Urteile über die allöopathische Arzneimittellehre findet man später in der Literatur zahlreich vor; man könnte einen ganzen Band damit füllen. Zu Hahnemanns Zeiten aber war solches Auftreten etwas Unerhörtes, „Freches" wie die Allöopathen versicherten. Kein Arzt seit Paracelsus hatte es gewagt, mit solcher Offenheit und solchem Mut die ganze Erbärmlichkeit des damaligen ärztlichen Treibens darzulegen.
 

"Es muss doch einmal laut und öffentlich gesagt werden"; so schrieb er in einem anonym erschienenen Aufsatz [51] , im Jahre 1808, nachdem er bereits durch 20 Jahre seine Mitärzte auf die Schäden der Heilwissenschaft aufmerksam gemacht, „und so sei es denn vor aller Welt laut und unverholen gesagt: unsre Arzneikunst braucht vom Haupte bis zum Fusse eine völlige Reformation. Was nicht sein sollte, geschieht, und was das Wesentlichste ist, wird völlig übersehn. Das Uebel ist so schlimm geworden, dass nicht die gutgemeinte Gelindigkeit eines Johann Huss mehr hilft, sondern dass der Feuereifer eines felsenfesten Martin Luther den ungeheuren Sauerteig ausfegen muss."
„Keine Wissenschaft, keine Kunst, ja selbst kein Handwerk ist so, wenig mit dem Gange der Zeit fortgeschritten, keine Kunst ist so sehr in ihrer ursprünglichen Unvollkommenheit zurückgeblieben, als die Arzneikunst."
„Bald folgte man dieser Mode, bald einer andern, bald diesem Lehrgebäude, bald jenem, und wenn das neuere nicht zu taugen schien, suchte man das alte, (schon damals untauglich befundene) wieder hervor. Immer curirte man, nicht nach Ueberzeugungen, sondern nach Meinungen, wovon jede um so künstlicher und gelehrter war, je weniger sie taugte, so dass wir nun dahingekommen sind, dass wir zwar die unselige Wahl haben, eine von den vielen Methoden, die fast alle gleich lahm sind, uns trostlos auszusuchen, aber gar keine feste Norm zum Handeln, keine festen Grundsätze zum Heilen, die anerkannt die besten wären. Jeder verfährt nach dem, was ihn seine Schule lehrte, und was ihn seine Einbildung heisst, und jeder findet in dem unermesslichen Magazine von Meinungen , Vertreter, auf die er sieh berufen kann."
Am Schluss seiner Abhandlung „Ueber den Werth der speculativen Arzneisysteme" ruft er aus: „Dies ist der wahre, aber schaudervolle Zustand der bisherigen Arzneikunst, welche unter der täuschenden Verheissung von Heil und Gesundheit an dem Leben so vieler Erdenbürger nagt. 0! dass mirs glückte, den bessern Theil der Aerzte, den, welcher die Leiden unsrer Brüder mitfühlt, und sich sehnt, ihnen helfen zu können, auf reinere, gerade zum Ziele führende Grundsätze hinzuweisen!"

Prüfung der Arzneien an gesunden Organismen

Es liegt nahe, dass zu jeder Zeit Arzneien geprüft worden sind, auch am gesunden Körper.

„Aber," sagt Hahnemann [52] „vom Dioscorides an steht in allen materiis medicis bis auf die neueren Bücher dieser Art fast nichts von den einzelnen Arzneien angemerkt, was ihre specielle, eigentliche Wirkung sei; sondem, ausser den Angaben von ihrem vermeintlichen Nutzen gegen diesen oder jenen Krankheitsnamen der Pathologie blos: ob sie Harn, Schweiss, Brustauswurf oder Monatreinigung befördern und vorzüglich ob sie Ausleerung aus dem Speise- und Darmkanale von oben oder unten bewirke, weil alles Dichten und Trachten der praktischen Aerzte von jeher vorzüglich auf Ausleerung eines materiellen Krankheitsstoffes und mehrerer, den Krankheiten zu Grunde liegen sollender Schärfen gerichtet war."

Jedoch war Hahnemann der Erste, welcher diese Prüfung zur Methode machte.
Schon im Jahre 1790 sehen wir ihn an seinem eigenen Körper Arzneiversuche anstellen. 1796 schreibt er in Hufelands Journal [53] , dass das Erforschen specifischer Mittel[54] das wünschenswerteste, löblichste Beginnen sei, beklagt aber den völligen Mangel an jedem Anhaltspunkt für ihre Auffindung, wozu bisher nur die Erfahrung der unsichere Wegweiser gewesen sei.

„Es bleibt uns nichts übrig, als die zu erforschenden Arzneien an unserm Körper selbst zu versuchen. Diese Notwendigkeit sah man zu allen Zeiten ein, aber man betrat gewöhnlich den falschen Weg, indem man sie bloss, wie oben gedacht, empirisch und auf das Geratewohl gleich in Krankheiten anwendete."

Auf diese Weise, führt er weiter aus, konnten zumal bei den Vielgemischen keine sicheren Erfahrungen gesammelt werden.

„Der wahre Arzt, dem die Vervollkommnung seiner Kunst am Herzen liegt, kann keine anderen Nachrichten von Arzneien gebrauchen als
Erstens, welche reine Wirkung bringt eine jede vor sich in dieser und jener Gabe im gesunden menschlichen Körper hervor.
Zweitens, was lehren die Beobachtungen ihrer Wirkung in dieser und jener einfachen und verwickelten Krankheit."

Zur Erforschung der Arzneiwirkungen am gesunden Körper empfiehlt er die Selbstprüfung und das Studium der Vergiftungsgeschichten. Eine vollständige Sammlung dieser Art Nachrichten mit Bemerkung der Grade der Glaubwürdigkeit ihrer Erzähler würde, wenn ich mich nicht sehr irre, der Grundcodex der Arzneimittelkunde, das heilige Buch ihrer Offenbarung sein . . . ."
Eifrig war er bemüht, Arzneien an sich und Anderen, die sich dazu hergaben, zu prüfen, Vergiftungsgeschichten zu sammeln und die erlangten Resultate zusammenzustellen zu einer Arzneimittellehre, welche frei sein sollte von allen Vermutungen und sich allein stützen sollte auf das Experiment.
SeinBestreben ging dahin, eine physiologische Arzneimittellehre zu gründen.
Der erste Versuch dieser Art war betitelt: Fragmenta de viribus medicamentorum positivis sive in sano corpore humano observatis  (1805), worin er die Ergebnisse seiner Prüfungen und seiner Studien systematisch ordnete.
Ein nur oberflächlicher Blick in diese Sammlung zeigt, mit welch hingebendem Fleiss und mit welcher Überzeugungstreue er daran gearbeitet hat. Das Buch besteht aus 2 Teilen, von denen der erste 269, der zweite Teil, der das Repertorium des ersten Teiles enthält, 470 Seiten stark ist.
Im folgenden Jahre 1806 tritt Hahnemann mit einer längeren Auseinandersetzung wieder in Hufelands Journal für Arzneiprüfungen und genaues Individualisiren ein. [55] Zwei Jahre später 1808 rät er [56] in dem Aufsatze „Ueber die Surrogate ausländischer Arzneien und über die jüngst von der medic. Fakultät in Wien angegebenen Üeberflüssigkeitsgrade der letzteren" Folgendes:

,, Man lehre nur die Aerzte allgemein gültige Grundsätze, nach denen die Kräfte der Arzneien mit Gewissheit erkannt und geprüft werden können, wozu eine jede unwidersprechlich tauglich und passend sei, für welche Krankheitsfälle jedes ausschliesslich quadrire und in welcher Gabe . . . Doch so weit sind wir noch lange nicht, noch sind keine Grundsätze allgemein anerkannt, nach denen die Heilkräfte der (auch noch nicht zu Heilabsichten am Krankenbette gebrauchten) Arzneien festständig im Voraus bestimmt werden könnten, ohne sie erst den ewig langen, fast nie beweisenden, gemeinschädlichen Weg passiren zu lassen, ,sie am Krankenbette auf gut Glück zu probiren'. Dieser dunkle, wenig oder nichts beweisende Weg ab effectu in morbis hat noch die grausame, nicht zu entschuldigende Seite, dass der in Krankheiten ohnehin so reizbare Mensch leicht unter so vielen blinden Proben verschlimmert, auch wohl ein Raub des Todes werden kann, zumal bei der neuen Sitte, recht grosse Gaben starker Arzneien zu verordnen."

Similia similibus

Um den neuen, den besseren Weg in der Heilkunde verstehen zu lernen, ist es nötig, wieder einige Jahre zurückzublicken. Im „Unterricht für Wundärzte über die venerischen Krankheiten", 1789, spricht Hahnemann über die Wirkungsweise des Quecksilbers, welche er zurückführt auf die dem Quecksilber eigenthümlichen, einen Gegenreiz imKörper bewirkenden Erscheinungen, die er im ausgebildetsten Stadium schildert und mit der Bezeichnung „Merkurialfieber" belegt.
Hierdurch schon zweigte er sich von der breiten Heerstrasse ab, auf der man die Heilkraft des Merkur durch Ausleitung des „Miasma" vermittelst Speichelfluss, Schweiss, Durchfall oder vermehrter Harnsekretion erklärte.

Hahnemann jedoch hielt die Erzeugung dieses seines „Merkurialfiebers" zur Tilgung der Syphilis für notwendig.

Im folgenden Jahre, 1790, übersetzte Hahnemann Cullens Materia medica. Cullen erklärte (II. 108) die Heilsamkeit der China bei Wechselfieber durch ihre „auf den Magen ausgeübte stärkende Kraft", und setzte hinzu, dass er „nichts in irgend einer Schrift angetroffen, was ihn in Rücksicht der Wahrheit seines Satzes zweifelhaft mache." Hahnemann verwarf diese Erklärung in einer Anmerkung und setzte hinzu:

„Man bedenke jedoch Folgendes. Substanzen, welche eine Art Fieber erregen (sehr starker Kaffee, Pfeffer, Wolferlei, Ignazbohne, Arsenik) löschen die Typen des Wechselfiebers aus. — Ich nahm des Versuchs halber etliche Tage zweimal täglich jedesmal 4 Quentchen [also 15 Gramm; Ameke] gute China ein; die Füsse, die Fingerspitzen etc, wurden mir erst kalt, ich ward matt und schläfrig, dann fing mir das Herz an zu klopfen, mein Puls ward hart und geschwind; eine unleidliche Aengstlichkeit, ein Zittern (aber ohne Schauder), eine Abgeschlagenheit durch alle Glieder; dann Klopfen im Kopfe, Röthe der Wangen, Durst, kurz alle mir sonst beim Wechselfieber gewöhnlichen Symptome (Hahnemann hatte in Erlangen am Wechselfieber gelitten [57] ) erschienen nach einander, doch ohne eigentlichen Fieberschauder. Mit kurzem: auch die mir bei Wechselfiebern gewöhnlichen besonders characteristischen Symptome, die Stumpfheit der Sinne, die Art von Steifigkeit in allen Gelenken, besonders aber die taube widrige Empfindung, welche in dem Periostium über allen Knochen des ganzen Körpers ihren Sitz zu haben scheint — alle erschienen. Dieser Paroxismus dauerte 2 - 3 Stunden jedesmal, und erneuerte sich, wenn ich diese Gabe wiederholte, sonst nicht. Ich hörte auf und ich war gesund."

Seite 115 erwähnt er, dass man eine Art künstlichen Fiebers mit Ipecacuanha erregen müsse, um gewisse Formen von Intermittens zu heilen. 1791 erschien die Übersetzung von Monro. (1794 als 2. unveränderte Auflage.) Auch hier zeigte er die Ansicht (II. 333), dass man „in schleichenden Fiebern von unbekannter Ursache, wo die Lebenskraft vor sich allzu unthätig ist, ein neues, stärkendes, hülfreiches Fieber" erregen müsse.

Als Heilgrundsatz und überhaupt zum ersten Male erwähnt er das Simile im Jahre 1796 in dem bekannten Aufsatz aus Hufelands Journal„Versuch über ein neues Prinzip zur Auffindung der Heilkräfte der Arzneisubstanzen, nebst einigen Blicken auf die bisherigen." [58]
Er spricht zunächst von den verschiedenen Wegen, welche die praktische Heilkunde eingeschlagen hatte, um den pathologischen Veränderungen des Körpers entgegenzutreten.

„Der erste Weg, die Grundursachen der Uebel hinwegzunehmen oder zu zerstören, war der erhabenste, den sie betreten konnte. Alles Dichten und Trachten der besten Aerzte in allen Jahrhunderten ging auf diesen, der Würde der Kunst angemessensten Zweck."

Im Weiteren nennt er dieses Verfahren über alle Kritik erhaben, obgleich die Mittel dazu nicht immer die zweckmäßigsten gewesen seien.
Hahnemann bespricht dann die Arzneien, welche nach contraria contrariis wirken, z. B. Abführmittel bei Verstopfung, Aderlass, Kälte und Salpeter bei Entzündungen, Alkalien bei Magensäure, Opium bei Neuralgien.

„In acuten Krankheiten, welche, wenn wir die Hindernisse der Genesung auch nur auf einige Tage entfernt halten, die Natur grösstentheils selbst besiegt, . . . sind diese Arzneianwendungen richtig, zweckmässig, hinreichend, (Später im Organon verwarf er derartige Arzneianwendungen bis auf wenige Ausnahmen gänzlich, auch bei akuten Krankheiten) so lange wir den oben erwähnten Stein der Weisen (die Kenntniss der Grundursache jeder Krankheit und ihrer Abhülfe) noch nicht besitzen, oder so lange wir kein schnell wirkendes Specificum haben."

Bei chronischen Krankheiten ist nach Hahnemann die Heilart nach contraria contrariis verwerflich. Verstopfung durch Abführmittel, Blutwallungen hysterischer, kachektischer, hypochondrischer Personen durch Aderlässe, das saure Aufstoßen mit Alkalien, chronische Schmerzen mit Opium zu behandeln, ist misslich.

„Und wenn der grössere Theil meiner ärztlichen Zeitgenossen noch dieser Methode anhinge, ich fürchte mich doch nicht, sie palliativ, schädlich, verderblich zu nennen."

„Um die Wirkungen der Heilmittel zu erforschen, um sie den Körperbeschwerden anzupassen, sollte man sich so wenig wie möglich auf den Zufall verlassen, sondern so rationell und geflissentlich zu Werke gehn, als nur möglich."
Allein durch die Prüfungen der Arzneien am gesunden Organismus »lässt sich die wahre Natur, die ächte Wirkung der Arzneisubstanzen geflissentlich entdecken, aus ihnen allein lässt sich errathen, welchen Krankheitsfällen sie mit Erfolg und Sicherheit auzupassen sind."

„Jedes wirksame Arzneimittel erregt im menschlichen Körper eine Art von eigner Krankheit, eine desto eigenthümlichere, ausgezeichnetere und heftigere Krankheit, je wirksamer die Arznei ist. [59]
„Man ahme der Natur nach, welche zuweilen eine chronische Krankheit durch eine andere hinzukommende heilt, und wende in der zu heilenden (vorzüglich chronischen) Krankheit dasjenige Arzneimittel an, welches eine andre, möglichst ähnliche, künstliche Krankheit zu erregen im Stande ist, und jene wird geheilet werden;Similia Similibus."

Man darf nur die Krankheiten des menschlichen Körpers genau nach ihrem wesentlichen Charakter und ihren Zufälligkeiten auf der einen, und auf der andern Seite die reinen Wirkungen der Arzneimittel, das ist, den wesentlichen Character der von ihnen gewöhnlich erregten, specifischen künstlichen Krankheit, nebst den zufälligen Symptomen kennen, die von der Verschiedenheit der Gabe, der Form etc, herrühren und man wird, wenn man für die natürlich gegebene Krankheit ein Mittel answählt, was eine möglichst ähnliche, künstliche Krankheit hervorbringt, die schwierigsten Krankheiten heilen können."

Die „Erläuterung" seines Heilgrundsatzes erfolgt mit Hilfe von Beispielen mit einer Menge von Arzneimittel. Dabei begeht Hahnemann einen großen Fehler, den größten, den er dabei machen konnte. Er verlässt den Weg der Induktion zu früh, und nimmt bei vielen Arzneiwirkungen als wahr an, was er erst beweisen soll. Vielfach werden Hypothesen statt Belege angeführt, während andere Beispiele wiederum sehr unzulänglich sind. - Hätte er nur unanfechtbare Beweise gebracht, wie er es mit Belladonna, Mercur, Arsenik, Aconit, Veratrum album, Ipecacuanha, Rhus tat und all das zweifelhafte Material weggelassen — er hätte seiner Sache besser gedient.
Es darf auch hier nicht vergessen Werden, dass er ein Kind seiner Zeit war, und unsere heutigen Kenntnisse nicht haben konnte.
Ein jeder Arzt, der ohne Parteisucht an das Studium der Hahnemannschen Schriften herangeht, muss zu der Einsicht kommen, dass derselbe bei allerdings großen Fehlern, redlich bemüht gewesen ist, in dem ungeheuren Chaos von Vermutungen, Meinungen, theoretischen Spekulationen, bei der verwirrenden Mannigfaltigkeit der Erfahrungen, der Medizin eine feste Grundlage auf naturwissenschaftlichem Boden zu geben.

1805 erschien die „Heilkunde der Erfahrung." Darin entwickelt Hahnemann folgenden Gedankengang:

„Jede Krankheit hat einen, die Verrichtung und das Wohlbefinden unserer Organe störenden, widernatürlichen Reiz eigener Art zum Grunde."

Diesem Hauptsatze stellt er zwei „Erfahrungssätze" unter:
„Erster Erfahrungssatz"
Wenn 2 widernatürliche Reize zu gleicher Zeit auf den Körper wirken, so wird, wenn beide ungleichartig sind, die Wirkung des einen schwächeren Reizes von der des andern, stärken auf einige Zeit zum Schweigen gebracht und suspendirt."
„Zweiter Erfahrungssatz"
Wenn beide Reize grosse Aehnlichkeit mit einander haben, so wird der eine (schwächere) Reiz, sammt seiner Wirkung, von der analogen Kraft des andern (stärkeren) gänzlich ausgelöscht und vernichtet."

Durch Beispiele aus der täglichen Praxis sucht er diese beiden Sätze zu stützen, um dann als Schlusssatz den folgenden aufzustellen:
Um also heilen zu können, werden wir nöthig haben, dem vorhandenen widernatürlichen Reize der Krankheit eine passende Arznei, das ist, eine andere krankhafte Potenz von sehr ähnlicher Wirkung, als die Krankheit äussert, entgegenzusetzen."

Weiterhin heisst es:

„Blos jene Eigenschaft der Arzneien, eine Reihe specifischer Krankheitssymptome im gesunden Körper zu erzeugen, ist es, wodurch sie Krankheiten heilen, das ist, den Krankheitsreiz durch einen angemessenen Gegenreiz aufheben und verlöschen können."
„Den specifischen Krankheitsmiasmen nicht unähnlich, bewirkt jedes einfache Arzneimittel eine eigene specifische Krankheit — eine Reihe bestimmter Symptome, welche genau auf dieselbe Weise an keiner andern Arznei in der Welt vorkömmt."
Um nun die Arzneiwirkung kennen zu lernen „wendet man diese starken, sowie die minder starken Arzneimittel versuchsweise, jedes einzeln und unvermischt, in gesunden Körpern bedächtlich an, und zeichnet unter sorgfältiger Entfernung aller influirenden Nebenumstände, die davon sich ereignenden Zufälle, in der Ordnung, wie sie vorkommen, genau auf und erhält so das reine Resultat der Krankheitsform, die jede dieser Arzneisubstanzen absolut und für sich im menschlichen Körper zu erregen im Stande ist."
„So muss man sich die Kenntniss eines hinlänglichen Vorrathes künstlicher krankhafter Potenzen (Arzneien) zu Heilwerkzeugen verschaffen, um die Auswahl unter ihnen zu haben. Etwas von der Art sind meine: Fragmenta de viribus medicamentorum."
„Mit einigen wenigen, einzeln hinter einander gebrauchten, öfterer aber mit einem einzigen, einfachen Mittel, können wir die grössten Unordnungen des kranken Körpers wieder in naturgemässer Harmonie auflösen, können wir die langwierigsten, unheilbar scheinenden Krankheiten in Gesundheit verwandeln — während wir die kleinsten Uebel von einem Haufen gewählter und vielgemischter Mittel in grössere, in die grössten, beschwerlichsten, unheilbarsten Krankheiten ausarten sehen."
 »
Welchen von beiden Wegen will der nach Vervollkommnung strebende Heilkünstler wählen?"
 »
Die wohlthätigsten Wirkungen hervorzubringen, ist stets ein einziges einfaches Mittel geeignet, ganz ohne Zusatz; wenn es nur das best gewählte, das passendste, in der rechten Gabe ist. Nie ist es nöthig, ihrer zwei zusammenzusetzen."
 »
Wir geben eine Arznei, um wo möglich durch dieses einzelne Mittel die ganze Krankheit zu heben, oder, wenn dies nicht völlig möglich ist, aus dem Erfolge der Arznei zu sehen, was noch an Hülfe gebricht. Eine, zwei, höchstens drei einfache Arzneien sind zur Hebung der grössten Krankheit hinreichend, und wenn dies nicht geschieht, so ist es unsere Schuld; nicht die Natur, nicht die Krankheit ist daran Schuld."
. . . „Da nun jedesmal nur ein einziges einfaches Arzneimittel nöthig ist, so wird es einem wahren Heilkünstler nicht einfallen, durch ein Gemisch von Arzneien sich und seine Kunst herabzuwürdigen und seinem eigenen Zwecke entgegen zu arbeiten. Es wird vielmehr ein Zeichen sein, dass er seiner Sache gewiss ist, wenn man ihn blos eine einzige Arzneisubstanz verordnen sieht."

Der Entwicklungsgang in Hahnemanns Arzneizubereitung

Den größten Gegensatz zwischen Hahnemann und sämtlichen Ärzten, soweit die Geschichte reicht, bildete seine homöopathische Arzneibereitung. Im Beginn seiner Praxis wandte er, wie natürlich, die damals gebräuchlichen Arzneigaben an.
Schon früh werden die Arzneigaben Hahnemanns allmählich kleiner, aber nicht etwa gleichmäßig bei allen Mitteln, sondern zunächst bei einzelnen.
Im Laufe der Jahre vergrößerte sich immer mehr die Zahl der auf die Grenzen ihrer Wirksamkeit geprüften Arzneien, und die Resultate des Forschens drängten immer mehr zu der Überzeugung, dass die bisher als Norm angenommene Gabengröße nicht die maßgebende sein könne. Kein Geschichtsbuch berichtet, keine Schrift zeigt uns, dass je ein Arzt mit solch eifrigem Bemühen um Richtigstellung der Gabenlehre geforscht habe, als wir dies bei dem scharf blickenden, unermüdlich nachdenkenden Hahnemann sehen.

Im Jahr 1799 erschien der vierte Teil von Hahnemanns Apothekerlexikon.Hier lässt sich anhand von Dosierungsvorschlägen zu einzelnen Heilpflanzen bereits eine Veränderung in seiner Gabenlehre beobachten. Mit der Intention, die anfänglichen Krankheitsverschlimmerungen abzuwenden, begann Hahnemann mit der Verdünnung der Wirksubstanzen. [60]  Die Verminderung der Dosierungen bis zu den später verwendeten hohen Verdünnungen, die kein Arzneimolekül enthalten haben dürften,  [61] war jedoch ein langwieriger Prozess. Hahnemann war zu diesem Zeitpunkt seiner homöopathischen Praxis noch der später verworfenen Überzeugung, dass durch die Minderung der Quantität auch die Potenz [62] der Arznei verringert werde. Er musste deshalb auf der Suche nach Verdünnungsstufen gewesen sein, die einen guten Kompromiss aus möglichst geringer Giftwirkung und gleichzeitig maximaler Heilkraft darstellten.

Nach seiner eigenen Angabe hatte er bemerkt, dass diejenigen Arzneien, welche nach seinem Prinzip gewählt waren, zu den erkrankten Teilen in einer spezifischen Beziehung standen, und diese eben deshalb in besonderem Maße zu beeinflussen geeignet waren. Hie und da wirkte das Präparat in noch kleinerer Menge stärker ein, als ihm dienlich schien. Er ging deshalb in der Verkleinerung der Arzneigabe noch weiter.
Sein Verfahren war dieses: Er nahm einen Teil Arzneisubstanz, und vermengte ihn innig mit einer bestimmten Menge eines geeigneten Vehikels: Milchzucker, Wasser, Alkohol. Von dieser Bereitung nahm er einen Bruchteil, und vermischte ihn durch sorgfältiges Reiben respektive Schütteln mit einem neuen Quantum Milchzucker etc. Von diesem Präparat verrieb oder schüttelte er wieder einen Teil mit dem passenden Vehikel etc.
Im Jahre 1801 [63]rät er, bei bestimmten Gehirnerscheinungen im Scharlach Opiumtinktur zu geben, und diese auf folgende Weise zu bereiten. Ein Teil dieser Tinktur wird mit 500 Teilen Alkohol geschüttelt, und hiervon wird ein Tropfen mit 500 Tropfen Weingeist innig vermischt. Von dieser Bereitung nimmt der Kranke tropfenweise.
Hahnemann regelte später diese Prozedur methodisch, indem er einen Teil Arzneisubstanz mit 99 Teilen Milchzucker oder Weingeist verrieb respektive schüttelte; von dieser Zubereitung verarbeitete er wieder einen Teil mit 99 Teilen Vehikel, verfuhr dann mit diesem Präparat in derselben Weise und so fort. Dieses war die erste, zweite, dritte etc. Verreibung oder Verdünnung, oder wie Hahnemann später sagte, „Potenz".

In solcher Weise hergestellte Arzneien wandte er nicht mit derselben Absicht an wie die anderen Ärzte. Solche Arzneibereitung riet er nicht an, um Erbrechen und Purgieren zu erregen, nicht bei Betäubungsmitteln; er wollte damit auch nicht „das Blut von den Schärfen reinigen" oder den „im Entzündungsblut vorwaltenden Sauerstoff binden". Er hatte nicht die Absicht, „Schleim einzuschneiden", „Verstopfungen zu lösen", „Verhärtungen zu schmelzen" oder gar Parasiten auf diese Weise zu vernichten. Er hatte gefunden, dass solche Arzneibereitungen, die auf seine Weise gewählt waren, die also keine Revolution im Körper hervorzubringen hatten, vortheilhaft auf den Heilungsvorgang einwirkten.
Anfangs war er selbst am meisten von Staunen über diese Entdeckung ergriffen, die er wiederholt „unerhört", „unglaublich" nannte. Desto sorgfältiger kontrollierte er sich selbst, und fand nicht nur Bestätigung, sondern noch Erweiterung seines merkwürdigen Fundes. In den ersten Jahren dieser Entdeckung legte er die Betonung auf das Gewicht der Arznei, welches seine Präparate enthielten, und erzählte der erstaunten Welt von der Wirkung, die ein Millionstel, Billionstel etc. Teil eines Grans Arznei hervorbrächte.
In der Verfolgung dieses Phänomens hatte Hahnemann gefunden, dass sich die Arzneikraft nicht proportional zu dem Quantum verhielt. Die doppelte oder dreifache Menge äußerte nicht die doppelte oder dreifache Wirkung; die Abnahme der Arzneiwirkung hielt nicht gleichen Schritt mit der Abnahme des Stoffgehaltes.
Ja noch mehr! Er fand, dass durch die angegebene Bereitungsweise die Tauglichkeit vieler Arzneien zu Heilzwecken, statt abzunehmen, geradezu entfaltet wurde, dass solcher Art bereitete Heilagenzien eine Wirkung äußerten, welche mit rohen Substanzen nicht erzielt werden können. Es stellte sich ferner die überraschende Tatsache heraus, dass Arzneikörper so viele Bereitungsstufen durchlaufen konnten, dass weder Physik noch Chemie einen Stoffgehalt in ihnen zu entdecken im Stande waren, und doch wohnte ihnen große Heilkraft inne. Stark giftige Substanzen konnten solcher Weise zu wohltätigen, nie schadenden Heilmitteln umgewandelt werden, und leicht zersetzbare und dadurch unwirksam werdende Stoffe konnten in eine Form gebracht werden, in der sie der Zersetzung nicht mehr ausgesetzt waren, und sie blieben oder vielmehr wurden dadurch erst mächtige Heilwerkzeuge in der Hand des unterrichteten Arztes.

Dies ist die größte Entdeckung Hahnemann's, einer der wichtigsten Funde, die je menschlicher Forschergeist zu Tage gefördert.

Fußnoten:

  1. Prof. Caspar Neumann in ‘Chymia Medica Dogmatico-Experimentalis [Gründliche und mit Experimenten erwiesene Medizinische Chemie], 2. Auflage, 1756
  2. https://en.wikipedia.org/wiki/Crell%27s_Annalen
  3. Geschichte der Chemie III. S.278
  4. Josef M. Schmid in ‘Die Publikationen Samuel Hahnemanns, S. 27
  5. Demachy’s Laborant II. S. 118f
  6. Medicinisches Journal, 1789, St. 21, S.33
  7. Vergl. Demachy, ‘Laborant im Grossen’ II. S. 163; ferner Gren, ‘Handbuch der Pharmacologie, Halle, 1792, II. S. 840
  8. Hg2O, NO5, kristallisiert mit 2 Äquivalenten<span class=
  9. Aus: ‘Recepte und Kurarten der besten Aerzte aller Zeiten’, Leipzig, 1814, 2. Auflage, IV. 24.
  10. Vg. B. Hirschel, Geschichte des Brown’schen Systems, Dresden und Leipzig, 1846, S.37
  11. K. Sprengel, Geschichte der Heilkunde, Halle, 1828, V. 1. S. 455
  12. Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie, Jena und Leipzig, 1799
  13. Heckers, Annalen, Bd. II., S. 444
  14. Steffens, I. c. S. 16
  15. I., c., S. 248
  16. Anfangsgründe der Physiologie, Wien 1789, §6
  17. F. Kapp, Systematische Darstellung der durch die neuere Chemie in der Heilkunde bewirkten Veränderungen und Verbesserungen; Hof; 1805; S.31f
  18. G. Ch. Reich, Beschreibung der mit seinen neuen Mitteln behandelten Krankheitsfälle; Nürnberg; 1800
  19. Medic. chirurg. Zeitg.; Salzburg; 1800, III. 315
  20. ib 1799, IV. 189, 1800, I. 25 u. 1800, IV. 292
  21. cf. Hufeland, System der practischen Heilkunde, Jena, 1818 u. Andere
  22. Medic. Journal von Baldinger, 1790, St. 23, S. 16
  23. Horn’s Archiv für med. Erf., III. S. 1f
  24. Anleitung alte Schäden und faule Geschwüre gründlich zu heilen nebst einem Anhange über eine zweckmäßigere Behandlung der Fisteln, der Knochenfäule, des Winddorns, des Krebses, des Gliedschwamms und der Lungensucht. Leipzig, 1784
  25. Anleitung alte Schäden und faule Geschwüre gründlich zu heilen nebst einem Anhange über eine zweckmäßigere Behandlung der Fisteln, der Knochenfäule, des Winddorns, des Krebses, des Gliedschwamms und der Lungensucht. Leipzig 1784; S.44
  26. Red. v. Prof. Hartenkeil, Salzburg 1790 III. 8. 345.
  27. Wien 1793. 488 S.
  28. Medicinisch-chirurgische Zeitung , 1791 1. S. 117 u. 231.
  29. Deutsche Monatsschrift Februarheft 1796 — Stapf II. S. 245.
  30. M. Müller ,,Zur Geschichte der Homöopathie,' Leipzig 1837 S. 31.
  31. Arzneischatz, aus dem Engl. übers. von Hahnemann. Leipzig 1800; S. 171.
  32. Aetiologie der Krätze von J. E. Wichmann, Kgl. Grossbritt. Hofmedikus zu Hannover, Hannover, 1786 mit 4 Abbildungen von Krätzmilben, Copie nach Bonomo. 2. Aufl., 1791
  33. Wichmann, I. c. S. 118.
  34. Handbuch der allg. und besondern Contagienlehre, Erfurt bei Henning, 1815, 608 S., auch unter dem Titel: „Ueber die Natur etc. des Spitaltyphus und der ansteckenden Krankheiten überhaupt.“
  35. Klinik der chron. Krankheiten, Erfurt, 1817, Bd. II. S. 614f
  36. Ahnungen einer allgem. Naturgeschichte der Krankheiten, Eisenach, 1828, S. 201
  37. Versuche über die prakt. Heilkunde aus den klin. Annalen von Tübingen, 1808 - Griesselich, Kleine Frescogemälde, Carlsruhe, 1836 I. S. 88
  38. Euchiridion medic., Vermächtnis einer 50jähr. Praxis, St. Gallen, 1839, 2. Aufl., S. 293f
  39. Ueber den Werth des hom. Heilverfahrens, 2. Ausgabe, Heidelberg und Leipzig, S. 33
  40. Bd. 3., St. 4, Göttingen, 1795
  41. Ein Blick auf Hahnemann, Leipzig, 1844, S. 6
  42. Ergänzungsheft VII, S. 307
  43. Huf. Journ. Bd. 6, St. 2, Anm.
  44. Ib. Bd. 5, St. 2, S. 52
  45. Ib. Bd. 9, St. 4, S. 15
  46. Ib. Bd. 9, St. 4, S. 15
  47. „Anleitung alte Schäden und faule Geschwüre gründlich zu heilen nebst einem Anhange über eine zweckmäßigere Behandlung der Fisteln, der Knochenfäule, des Winddorns, des Krebses, des Gliedschwamms und der Lungensucht.“, S. 165 u. 179
  48. „Sind die Hindernisse der Gewißheit und Einfachheit der practischen Arzneykunde unübersteiglich?“;Journal der practischen HeilkundeHufl (1797), 4. Bd., 4. St., S. 727-762
  49. Neues Edinburger Dispensatorium [[Lewis, William:] The Edinburgh new dispensatory. Edinburgh 1794]. 2 Bde., Leipzig 1797-1798; S. 606
  50. Ueber den jetzigen Mangel außereuropäischer Arzneyen. AAdD (1808), 2. Bd., Nr. 207, Sp. 2265-2270
  51. Allg. Anz. d. Deutschen Nr. 207.
  52. Organon der Heilkunst. Fünfte verbesserte und vermehrte Auflage. Dresden und Leipzig 1833; S. 18
  53. II. St. 3; S. 465f
  54. An dieser Stelle wollen wir von vornherein bemerken, dass das Wort spezifisch in der Homöopathie eine andere Bedeutung hat, als bei den allöopathischen Therapeuten. Letztere verstehen unter spezif. Mitteln solche, welche gegen eine bestimmte Krankheit gerichtet sind; so ist ihnen Chinin ein Spezifikum gegen Wechselfieber, Mercur gegen Syphilis etc. Der Arzt, welcher nach einem Mittel für eine Krankheitsform sucht, verfällt dem Schlendrian. Die Homöopathen verstehen unter spezifischen Mitteln solche, welche bestimmte Organe und Gewebe, und eben nur diese und nicht andere, unter bestimmten Umständen zu beeinflussen im Stande sind. [Ameke]
  55. Ueber Chinasurrogate St. 4 S. 27.
  56. Im „Allgem. A. d. D.“ No. 237 Stapf. I. c. I. 52.
  57. Monro II. 396
  58. Hufl (1796), 2. Bd., 3. St., S. 391-439 u. 4. St., S. 465-561
  59. Die wirksamsten, specifiche Krankheit erregenden, folglich hülfreichsten Arzneien nennt der Laie Gifte. Anmerkung Hahnemanns
  60. Dellmour F. (1992), S. 9.
  61. Hahnemann konnte trotz seiner guten Kenntnisse der Chemie nicht von der Loschmidtschen Zahl (Avogadro-Konstante (6,022 x 10<span class=
  62. Die Verwendung des Begriffes Potenz erschien bei Hahnemanns erstmals 1801 [Monita über die drey gangbaren Kurarten.] und 1805 [Heilkunde der Erfahrung]. Demnach verstand Hahnemann darunter ganz allgemein jede Kraft, die spezifische Wirkungen hervorruft. In diesem Sinn bezeichnete er Blitz und Feuer als Naturpotenzen. Da aber auch Arzneimittel in der Arzneimittelprüfung am Gesunden Krankheitssymptome hervorriefen, nannte er seine Arzneien 1801 Gegenkrankheitspotenzen und Kunstkrankheitspotenzen, bevor er daraus die vereinfachten Begriffe Arzneipotenz bzw. Potenz entwickelte. Dellmour F. (1993), S. 152-153. [Stefan Mayr: Herstellung Homöopathischer Arzneimittel; Von Hahnemann bis zu Schwabes Pharmakopöe (1872)]
  63. Dr. Samuel Hahnemann’s Heilung und Verhütung des Scharlachfiebers und Purpurfriesels; mit einigen Zusaetzen von Dr. J. Buchner; München; 1844; S. 14