Doppelblindversuch: Unterschied zwischen den Versionen

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Aktuelle Version vom 8. November 2019, 13:23 Uhr

Der Doppelblindversuch ist ein differenziertes Instrument, um die Größe des spezifischen Effektes eines Arzneimittels abzuschätzen. Er stellt den Kern der evidenzbasierten Medizin dar. Die Notwendigkeit eines solch differenzierten Instrumentes ergibt sich aus der Tatsache, daß Menschen unabhängig von jeder Therapie gesund werden können (Spontanremission) und daß unspezifische Effekte wie Erwartungshaltung, Umweltreize und andere Einflüsse zu einer Besserung führen können (Placeboeffekt).

Eine Studie ist offen, wenn die Patienten wissen, ob sie das Verum oder das Placebo bekommen. Dagegen ist die Studie

  • einfachblind, wenn die Patienten nicht wissen, welche Substanz (Kontrolle oder Verum) sie erhalten (Versuchsperson „blind“),
  • doppelblind, wenn die Patienten und auch der behandelnde Mediziner nicht wissen, wer welche Substanz erhält (Versuchsperson und Versuchshelfer „blind“),
  • dreifachblind, wenn weder die Patienten noch der behandelnde Mediziner, noch diejenigen, die die Auswertung durchführen, wissen, wer welche Substanz erhält (Versuchsperson, Versuchshelfer und Versuchsauswerter „blind“). Nur der Auftraggeber der Studie weiß, wer welche Substanz erhielt.

Medizin

Im Doppelblindversuch erhalten Patienten entweder das zu prüfende Medikament (Verum) oder ein gleichaussehendes Scheinmedikament (Placebo). Sie werden dazu zufälligerweise der Prüf- oder Kotrollgruppe zugeteilt (Randomisierung). Beide Gruppen sollten sich in ihren Charakteristika (Schwere der Erkrankung, Alter und Geschlecht der Patienten usw.) nicht zu sehr unterscheiden. Wissen die Patienten nicht, ob sie ein Verum oder ein Placebo erhalten, ist der Versuch verblindet. Wissen es auch die Therapeuten und die anderen involvierten Personen nicht, um nicht mit unbewußten Signale das Ergebnis zu beeinflussen, spricht man von doppelblind. Dieses grundlegende Schema erfährt verschiedentliche Abwandlungen. Ist der therapeutische Effekt der zu testenden Substanz größer als im ‚Placebo-Arm‘, geht man von einer wirksamen Therapie aus. Der Doppelblindversuch besitzt einige grundlegenden Schwächen, die seine Aussagekraft für Therapien wesentlich einschränkt.

  • Die Randomisierung erfolgt anhand gewisser Kriterien oder Marker (Surrogatparameter), die das Krankheitsgeschehen abbilden sollen. Für andere Geschehen ist der Doppelblindversuch mehr oder weniger blind. Das bekannteste Beispiel war ,Sildenfali (Viagra©). Die Substanz erwies sich bei der Behandlung des Hochdrucks im Doppelblindversuch als kaum effektiv. Erst ein Einbruch in der Firmenzentrale machte die Firma darauf aufmerksam, daß sie ein potentes Mittel besaßen.[1]
  • Patienten, die für Doppelblindversuche ausgewählt werden, sind in der Regel hochgradig selektiert, besitzen eindeutige Diagnosen und Krankheitssymptome. Damit entsprechen sie meist wenig der später zu therapierenden Allgemeinbevölkerung.
  • Patienten in Doppelblindversuchen erhalten in aller Regel eine Monotherapie. Diese Ergebnisse lassen sich nicht so leicht auf Patientengruppen mit Mehrfachtherapien übertragen.
  • Da Doppelblindversuche sehr aufwendig sind, werden sie in aller Regel nur 3 bis 6 Monate durchgeführt. Längere Tests sind eher die Ausnahme. Längere Beobachtungszeiten können die Ergebnisse jedoch umkehren. Therapien können kurzfristig nützen, aber langfristig schaden.[2]
  • Im Rahmen des Doppelblindversuches kann nicht unterschieden werden, ob die Robustheit oder Resilienz des Patienten sich verbessert hat.[3] Sehr häufig wird durch Medikamente die Regulationsfähigkeit eingeschränkt, was sich unter veränderten Umständen als schädigend auswirken kann. So besitzen Beta-Blocker ein großes therapeutisches Spektrum, aber sie führen zu einer geringeren Anpassungsfähigkeit bei Hitze, was bei einer Hitzewelle zu Hitzschlag und Todesfällen führen kann.[4] Eine Therapie mit einem deutlich geringeren Effekt unter konstanten Bedingungen kann unter sich wechselnden Bedingungen sehr viel effektiver sein.
  • Der Doppelblindversuche macht Aussagen über Kollektive, nicht über Einzelne.[5] Die Frage, in wie weit ein Ergebnis relevant ist, läßt sich statistisch nicht beurteilen. So wurde in einer Doppelblindstudie zur Matratzenhärte festgestellt, daß für die Mehrzahl der Personen eine mittelarte Matratze das beste Ergebnis lieferte. Aber eine nicht unerhebliche Anzahl von Personen schlief auf einer harten oder einer weichen Matratze besser.[6]
  • Es gibt eine grundlegende statistische Unsicherheit, was wem unter welchen Umständen hilft. Diese wurde ein wenig sarkastisch so zusammengefaßt: „Große Zahlen liefern ein statistisch gesehen genaues Ergebnis, von dem man nicht weiß, auf wen es zutrifft. Kleine Zahlen liefern ein statistisch gesehen unbrauchbares Ergebnis, von dem man aber besser weiß, auf wen es zutrifft. Schwer zu entscheiden, welche dieser Arten von Unwissen die nutzlosere ist.[7]

Die Unzulänglichkeit des Doppelblindversuches läßt sich selbst bei einer so einfachen und standardisierten Erkrankung wie der Otitis media beobachten. In den ersten größeren Studien zum therapeutischen Effekt von Antibiotika bei dieser Erkrankung ergaben, daß diese nicht effektiver waren als ein Placebo, jedoch die Anzahl der Rezidive erhöhte.[8] Dieses Ergebnis zeigte, daß der Effekt der antibiotischen Therapie erheblich überschätzt wurde, machte aber physiologisch nicht unbedingt Sinn. Als die Kriterien der Otitis media klarer gefaßt wurden (Rötung und Vorwölbung des Trommelfells, Schmerz und Fieber), war in späteren Studien die antibiotische Therapie etwas effektiver als die Gabe eines Placebos, aber mit mehr Komplikationen behaftet.[9] Nicht berücksichtigt wurden bei diesen Studien die Frage der Resilienz und/oder die Langzeitfolgen, beispielsweise die Auswirkungen auf die Darmflora. Doppelblindstudien ergeben somit Anhaltspunkte, die unter den oben genannten Vorbehalten das therapeutische Handeln beeinflussen können und sollen. Sie können jedoch nicht als Goldstandard und therapeutischer Imperativ betrachtet werden. Es muß in jedem Fall die Gesamtsituation des Patienten beurteilt und als Grundlage des therapeutischen Handelns betrachtet werden.


Geschichte

Der folgende Textabschnitt basiert auf dem Artikel „Blindstudie“ aus Wikipedia, gelesen am 16.8.18, und steht unter der Lizenz Creative Commons CC-BY-SA 3.0 Unported (Kurzfassung). In der Wikipedia ist auf der genannten Seite eine Liste der Autoren verfügbar. Änderungen möglich.

Die Geschichte der Blindstudie ist eng mit der des Placebos verknüpft. Placebos wurden in der wissenschaftlichen Medizin erstmals im 17. Jahrhundert eingesetzt. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff „Verum“ (lat. „das Wahre, das Richtige“) für das eigentliche Medikament. In dieser Epoche wurde die Wirksamkeit von Chinin bei Malariafieber durch Thomas Sydenham (1624–1689) nachgewiesen. Chinin gilt daher heute als erstes Verumpräparat, das nachweislich kein Placebo darstellt.

Der britische Schiffsarzt James Lind führte 1747 erstmals eine Kontrollmedikation ein. Er testete an zwei Skorbutkranken die Wirksamkeit von Orangensaft und Zitronensaft. Lind glaubte, dass Skorbut eine Folge von Fäulnis im Körper sei, was durch Säuren verhindert werden könne. Deswegen experimentierte er vor allem mit säurehaltigen Nahrungszusätzen. Für seinen Versuch teilte er zwölf skorbut-kranke Matrosen in sechs Gruppen ein. Alle erhielten dieselbe Diät und die erste Gruppe außerdem ein Quart (einen knappen Liter) Apfelwein täglich. Gruppe zwei nahm 25 Tropfen Schwefelsäure ein, Gruppe drei sechs Löffel voll Essig, Gruppe vier eine halbe Pinte (knapp ein Viertel Liter) Seewasser, Gruppe fünf zwei Apfelsinen und eine Zitrone täglich und die letzte Gruppe eine Gewürzpaste sowie Gerstenwasser. Die Behandlung von Gruppe fünf musste abgebrochen werden, als nach sechs Tagen die Früchte ausgingen, aber zu diesem Zeitpunkt war einer der Matrosen bereits wieder dienstfähig und der andere beinahe erholt. Bei den übrigen Versuchsteilnehmern zeigte sich nur in der ersten Gruppe ein gewisser Effekt der Behandlung.[10][11]

Die ersten doppelblind durchgeführten Versuche in Mitteleuropa begannen in der Mitte des 19. Jahrhunderts.[12]

 

Einzelnachweise

  1. Der Spiegel, 18.5.98
  2. Ivanovas G (2009): Kritik der reinen Evidenz. Homöopathie in der evidenzbasierten Medizin – Teil 1, Homöopathie KONKRET 3.9: 10–18
  3. Ivanovas G, Tomaras V, Papadioti V, Paritsis N (2007): Human robustness and conscious purpose in contemporary medicine, Kybernetes 36; 7/8: 972-984
  4. Bouchama A, Knochel JP (2002): Heat stroke, N Engl J Med 346: 1978 - 1988 Niroomand F (2004): Evidenzbasierte Medizin: Das Individuum bleibt auf der Strecke, Dtsch Arztebl 101: A 1870–1874
  5. Niroomand F (2004): Evidenzbasierte Medizin: Das Individuum bleibt auf der Strecke, Dtsch Arztebl 101: A 1870–1874
  6. Kovacs FM, Abraira V, Peña A, Martín-Rodríguez JG, Sánchez-Vera M, Ferrer E, Ruano D, Guillén P, Gestoso M, Muriel A, Zamora J, del Real MTG, Mufraggi N (2003): Effect of firmness of mattress on chronic non-specific low-back pain: randomised, double-blind, controlled, multicentre trial. Lancet 362: 1599-604
  7. Beck-Bornholdt HP, Dubben HH (2003): Der Schein der Weisen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg
  8. Hendley JO (2002): Otitis media, N Engl J Med 347; 15: 1169-1174; Rovers MM, Schilder AGM, Zielhuis GA, Rosenfeld RM (2004): Otitis media, Lancet 363; 9407: 465-473
  9. Tähtinen PA, Laine MK, Huovinen P, Jalava J, Ruuskanen O, Ruohola A. (2011): A Placebo-Controlled Trial of Antimicrobial Treatment for Acute Otitis Media; N Engl J Med. 364(2):116-26.
  10. T. Gauler, T. Weihrauch: Placebo – ein wirksames und ungefährliches Medikament? Verlag Urban & Schwarzenberg, 1997.
  11. A Treatise on the Scurvy. James Lind Initiative, the Royal College of Physicians of Edinburgh and Minervation. London 1753. Abgerufen am 7. Juli 2015.
  12. U. Binz: Das Placebo-Phänomen. Dissertation, Universität Mannheim, 1977.

 

Kritik des Doppelblindversuchs als medizinischer Standard

   Adaption eines Artikels von Georg Ivanovas[1].   Dieser Artikel hat noch kein enzyklopädisches Format und muß weiter angepaßt werden.

Der Doppelblindversuch - Goldstandard oder goldenes Kalb?

Die Beobachtung, daß ein therapeutischer oder schädlicher Effekt auch auf eine andere Weise, als der erwarteten, zustande kommen kann, stellt eine große Verunsicherung im therapeutischen Selbstverständnis dar. Das Instrument, das Klarheit in die Verwirrung bringen soll, ist der Doppelblindversuch. Er ist sozusagen das "Scheidewasser" der heutigen Medizin.

Im Doppelblindversuch wird etwas gemessen, wodurch scheinbar "Objektivität" zustande kommt. Aber diese "Objektivität" ist mit vielen Fragezeichen versehen.

Die erste Frage ist, was wird mit dem Placebo im Doppelblindversuch gemessen?

Überraschend ist zunächst, daß durch das Placebo nicht der Placeboeffekt gemessen wird, zumindest nicht in Reinform.

Eine übliche, aus der Informationstheorie stammende, Vorstellung, ist: Es gibt im Körper eine Spontanheilung. Diese stellt sozusagen das "informationstheoretische Rauschen" dar, von dem sich die "Information" des Medikamentes abhebt. Je größer die Differenz der Medikamentenheilung von der Spontanheilung ist, desto größer ist die wirksame Potenz des Medikamentes. Dieses Konzept ist aber schon dadurch falsch, daß es den Placeboeffekt außer Acht läßt, also eine Heilung durch die Gabe eines Scheinmedikamentes. Fields/Price machen darauf aufmerksam, daß der Placeboeffekt nicht von der Spontanheilung unterschieden werden kann, daß es also Unwißbarkeit gibt und Spontanheilung und Placeboeffekt nicht auseinandergehalten werden können.[2] Es ist ja eine bekanntes physikalisches Phänomen, daß durch den Meßvorgang der zu messende Prozeß verändert wird. Wie die Dinge "an sich" sind, läßt sich nicht sagen. Noch problematischer wird es, wenn der Begriff "Spontanheilung" genauer untersucht wird. Handelt es sich dabei um einen festen Koeffizienten wie die Zerfallsrate bei radioaktivem Material? Kann es überhaupt Spontanheilung geben? Oder handelt es sich bei diesem Begriff wieder um ein Erklärungsprinzip, das nicht nach den Faktoren fragt, die eine Spontanheilung bedingen? Dann wären in der Spontanheilung aber wieder Placeboeffekte ("unspezifische Faktoren") verborgen, die nicht gemessen werden und vielleicht nicht meßbar sind.

Eine präzisere Defintion wäre: Beim Doppelblindversuch wird die Summe der nicht bekannten therapeutischen Faktoren des Settings gemessen, mit und ohne Zugabe eines definierten Wirkstoffes einschließlich einer nicht näher näher bezeichneten und bezeichenbaren Selbstheilungsrate. Diese nicht bekannten therapeutischen Faktoren ("unspezifisch") können letztlich nicht bestimmt werden. Es kann das Lächeln einer Krankenschwester sein, Erdstrahlen, das Essen, der Fluglärm, der Chlorgehalt des Wassers und die in der Literatur bekannten Faktoren (Größe, Form und Farbe des verabreichten Medikaments und Placebos). Theoretisch sind zwei Placebo-Studien nicht miteinander vergleichbar, da die Faktoren nicht konstant gehalten werden können; und nur eine sehr starke therapeutische Potenz eines Mittels überschreitet die experimentellen Unsicherheiten, wie z.B. Insulin beim insulinpflichtigen Diabetes. Aber nur selten sind die Ergebnisse so eindeutig und überzeugend reproduzierbar, wie in diesem Beispiel.[3]

Einschränkend für den Doppelblindversuch kommt hinzu, daß er zeitlich begrenzt ist und daß er nur jene Beobachtungen zuläßt, die als beobachtbar definiert werden. Die erste Einschränkung ist geläufig; und jede Medikamenteneinführing ist mit dem Warnhinweis versehen, daß seltene Nebenwirkungen eines Medikamentes erst nach längerem Gebrauch bemerkbar sind und dann natürlich nicht doppelblind. Die zweite Einschränkung ist etwas schwieriger zu fassen. Nebenwirkungen halten sich in der Regel nicht an das Modell, das man sich von einem Medikament macht, d.h. es kommen Nebenwirkungen vor, für die es durch die angenommene Wirkung eines Medikamentes keine Erklärung gibt. Aus diesem Grund werden hypothetisch alle unerwünschten Wirkungen innerhalb des beobachteten Zeitrahmens als eventuell durch das zu untersuchende Medikament angenommen.[4] Schwieriger ist es, wenn man eventuelle Spätwirkungen annimmt. Diese lassen sich nicht mit einem Doppelblindversuch messen. Hier ist wieder die leidige Frage der Kausalisierung im Mittelpunkt, nämlich: glaube ich, daß ein bestimmtes später liegendes Ereignis mit einer Medikamentengabe in Zusammenhang steht oder glaube ich es nicht? Die Beweislage ist in jeder Richtung schwierig und die Diskussion darüber in der Regel unfruchtbar. Gesichertes Wissen ist dabei in den seltensten Fällen zu erzielen.

Die Frage der Beobachtungskriterien ist jedoch noch in einer anderen Hinsicht bemerkenswert. Der Doppelblindversuch zeigt im Idealfall, daß sich bestimmte Kriterien bessern. Aber es ist oft schwierig festzustellen, ob diese Besserung von Kriterien auch einem Patienten wirklich nützen. Dazu zwei Beispiele: 1. Die Verabreichung von NaF bei Osteoporose hat regelmäßig ergeben, daß es zu einer Zunahme der Knochendichte kam. In längerfristigen Studien wurde dann einschränkend bewiesen, daß es zwar zu einer Zunahme der Knochendichte kam, daß dieser Knochen jedoch brüchiger war. Das meßbare Kriterium war nicht das, was einem Patienten zugute kam. 2. Digitalis ist das Paradebeispiel eines Medikamentes in der experimentell-naturwissenschaftlichen Medizin. Sein positiver Effekt auf die Kontraktionsfähigkeit des Herzens konnte doppelblind vielfach bestätigt werden. Es gab auch hervorragende Erklärungsmodelle. Trotzdem kam es jetzt, nach millionenfachem Einsatz, zu einer völligen Abkehr von diesem Medikament, weil die bessere Kontraktionsfähigkeit des Herzens nicht ein längeres sondern ein kürzeres Leben zur Folge haben soll.

Da Gesundheit (ein anderes Erklärungsprinzip) nicht gemessen werden kann sondern immer nur bestimmte beobachtbare Stoffwechselfunktionen, läßt sich niemals sagen, ob die Messung mit Gesundheit korreliert. Das läßt sich nur über langfristige Beobachtungen sichern und auch nur mit Einschränkungen. Wenn man aber nur solche Medikamente gelten ließe, die doppelblind so intensiv auf Vor- und Nachteil geprüft wurden wie Digitalis, und das wäre die einzige wissenschaftlich korrekte Vorgehensweise, dann gäbe es fast keine verordenbare Medikamente. Der Doppelblindversuch ist nicht der Goldstandard der Medizin und kann es nicht sein. Eine Medizin, die wirklich darauf basieren würde, wäre nicht lebensfähig. Er kann immer nur gewisse Hinweise geben, niemals jedoch eine Aussage, ob ein Medikament der Gesundheit förderlich ist oder nicht. Das ist nicht Teil seines Versuchskonzeptes.

Grenzen des Doppelblindversuches

Eine weitere und wesentliche Einschränkung ist, daß der Doppelblindversuch für die Beurteilung von anderen, alternativen Therapieformen nicht geeignet ist. Viele der sog. Außenseiterverfahren haben ein abweichendes therapeutisches Konzept und, daraus resultierend, eine andere Beobachtungsstruktur. Diese kann mit einem Doppelblindversuch schon aus formallogischen Gründen nicht beurteilt werden.

Um diese, zunächst überraschende Behauptung, zu untermauern, ist es erforderlich ein wenig formale Logik zu betreiben. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts stellten Whitehead und Russell [5] das Prinzp der sogenannten logischen Typisierung auf. Es läuft auf die kurzgefaßte Formel hinaus: Eine Klasse kann nicht Teil von sich selbst sein. Das heißt mit anderen Worten, daß eine Aussage über eine Klasse keine Bedeutung für ein Mitglied der Klasse hat und daß eine Aussage über ein Mitglied der Klasse keine Bedeutung für die Klasse selbst hat. Eine Verletzung dieser logischen Typisierung hat zur Folge, daß Paradoxien entstehen, daß die Aussagen weder richtig noch falsch sind, sondern schlicht sinnlos.

Dazu ein Beispiel:

Es gibt FORD das Auto und FORD die Autofirma. FORD die Firma ist die Klasse und FORD das Auto ist das Element der Klasse.

Nun gibt es Aussagen, die auf die Klasse zutreffen und Aussagen, die auf die Elemente der Klasse zutreffen. So hat das Auto einen Motor, die Firma nicht. Die Firma kann in finanziellen Schwierigkeiten sein, das Auto nie. Eine Aussage auf der einen logischen Ebene ist unsinnig auf der anderen logischen Ebene. Wenn wir ein Auto verkaufen, verkaufen wir nicht die Firma; und wenn wir die Firma verkaufen, verkaufen wir kein Auto. Aber hier ist ein schönes Beispiel für die Verletzung des logischen Typus. Manche sagen nämlich: Halt! Wenn wir die Firma verkaufen, verkaufen wir auch alle unverkauften Autos. Mit dieser Aussage werden die Elemente der Klasse auf eine Ebene mit der Klasse gestellt. Was sich zunächst klug anhört, ist eine Verletzung der formalen Logik, die besagt, daß eine Aussage über die Klasse (Firma) keine Aussage über die Elemente der Klasse (die Autos) ist. Die formale Logik widerspricht hier der „gefühlsmäßigen Logik“. Und in der Tat, ist Russells logische Typisierung gewöhnungsbedürftig, da sie bedeutet, von gewissen scheinbar logischen Schlußfolgerungen Abschied zu nehmen. Viele der „logischen“ Aussagen sind einfach nicht logisch.

Was hat das nun mit dem Doppelblindversuch und Außenseitermethoden zu tun?

Der Doppelblindversuch macht, wie es allgemein akzeptiert ist und wie wir bereits gesehen haben, Aussagen zu Einzelbeobachtungen in einem vorher gesetzten Beobachtungsrahmen. Er ist symptomorientiert. Er kann aussagen, wieviel besser Acetylsalicylsäure als Placebo bei Kopfschmerz wirkt. Eingedenk der Einschränkungen, die weiter oben besprochen wurden. Für diesen Ansatz ist der Doppelblindversuch geschaffen, sozusagen für dieses Paradigma: Wie kann ein Symptom unter möglichst geringer Gefährdung eines Patienten zum Verschwinden gebracht werden? Dabei ist wichtig zu verstehen, daß in der Medizin immer Symptome und niemals Krankheiten behandelt werden. Die Indikation für die Behandlung ist stets die Art und Intensität der Symptome, niemals der Name der Diagnose. Dies gilt für den grippalen Infekt ebenso wie für die rheumatoide Arthritis, die Appendizitis, die Unterschenkelfraktur usw. Gerade die Symptomorientierung ist es, die den Doppelblindversuch erst möglich macht, weil sie den Beobachtungsrahmen liefert. Die Diagnose ist sozusagen die Klasse, das Symptom das Element der Klasse, und der Doppelblindversuch mißt Veränderungen der Elemente der Klasse.

Dies trifft nicht für eine ganze Reihe von Außenseitermethoden wie die Homöopathie zu. Ein Symptom, also der Kopfschmerz, ist kein isoliert zu betrachtendes Geschehen, sondern er ist Ausdruck einer Störung des inneren Gleichgewichtes. Diese Störung äußert sich nicht nur in diesem einen Symptom sondern auch noch in anderen Symptomen. Das könnte ein Verlangen nach salzigen Speisen, ein verschlossenes Wesen, Depressionen, Herpes an den Lippen oder auch Schwitzen auf der Nase sein. All diese Symptome und auch noch mehr sind gemeinsam Ausdruck dieser Störung. Das Ziel der Behandlung ist nicht, den Kopfschmerz zum Verschwinden zu bringen, sondern der gesamten Person zu einem besseren Zustand zu verhelfen.

Es geht in der Homöopathie um die Behandlung der Klasse der Symptome, sozusagen um die "Ganzheit".

Nach dem Prinzip der logischen Typisierung ist eine Aussage, die sich auf die Ganzheit der "Symptome" richtet, nichtssagend für das Einzelsymptom und eine Aussage über das Einzelsymptom nichtssagend für die Ganzheit. Das heißt mit anderen Worten: ein Doppelblindversuch zur Behandlung des Kopfschmerzes, wie er für Acetylsalicylsäure gültig wäre, ist nicht aussagefähig für die Behandlung mit einem homöopathischen Mittel. Wird dies doch gemacht, kommt es zur Verletzung der logischen Ebenen, die zu Paradoxien führt. Das ist eine klare Forderung der formalen Logik.

Und in der Tat trifft man beim Ansatz des üblichen Doppelblindversuches auf die Homöopathie ständig auf solche Paradoxien. So kann für die Kopfschmerzbehandlung durchaus Acetylsalicylsäure gegen Placebo getestet werde. Unsinnig wäre es, das homöopathische Bryonia gegen Placebo zu testen, da es nicht ein Mittel für Kopfschmerz gibt, sondern nur das angemessene nach der Gesamtheit der Symptome. Eine Möglichkeit bestünde nun darin, zu sehen, ob ein von Homöopathen ausgesuchtes Mittel besser wirkt, als ein Placebo. Damit würde aber nicht ein homöopathisches Medikament sondern die Homöopathie als Heilverfahren getestet. Diesen Vergleich verbietet aber die formale Logik. Außerdem wäre es eine doppelblinde Prüfung der Homöopathie, wenn man überzeugt ist, daß Homöopathie nicht wirkt; es wäre aber eine Prüfung der Qualität der Homöopathen, wenn man überzeugt ist, daß Homöopathie wirkt.

Wenn beim oben erwähnten Kopfschmerzpatienten die seelische Grundverfassung sich bessert, wenn seine Depressionen nachlassen und er aufgeschlossener wird, dann dürfen seine Kopfschmerzen sogar noch zunehmen und wir sehen darin eine erfolgreiche Therapie. Auch der Herpes kann an Intensität noch zunehmen. Das alles ist noch im Heilungsmodell der Homöopathie vorgesehen. Ein anderes Beispiel ist die Behandlung eines nervösen Patienten mit Magenbeschwerden bei ausgeprägter chronischer Gastritis. Durch die homöopathische Therapie verschwanden die Magenbeschwerden völlig, die Nervosität nahm aber (nach genauem Nachfragen) noch weiter zu. Dies würde im Rahmen des Doppelblindversuches als Besserung gewertet. In der Betrachtungsweise der Homöopathie ist es eine Verschlimmerung des Krankheitsbildes, das einer sofortigen Änderung der Therapie bedarf.

Diese beiden Beispiele sollen zeigen, daß das formallogische Verbot des Doppelblindversuches für die Homöopathie sein Korrelat in Einzelbeobachtungen hat.

Um das Paradox des Doppelblindversuches in der üblichen Form für die Homöopathie noch auf eine andere Weise deutlich zu machen, möchte ich die paradoxe Logik umkehren und das homöopathische Konzept der Therapie auf die üblichen Heilungskonzepte anwenden, was zu ganz offensichtlichen Absurditäten führt.

Der Versuchsaufbau sähe folgendermaßen aus:

Im Rahmen einer Allgemeinpraxis mit dem gesamten Spektrum der Krankheiten von Hypertonie, Magengeschwür, Allergien, Depressionen usw. usw. wird doppelblind folgende Medikation gegeben: Eine Gruppe erhält Acetylsalicylsäure, die andere ein Placebo. Nach einem Jahr wird kontrolliert, welche Gruppe sich in einem besseren Gesundheitszustand befindet.

Solche paradoxen Konzepte haben ihre Ursache in der Verletzung der logischen Typisierung.

Die Konsequenz aus dieser Einsicht ist, daß Doppelblindstudien zur Homöopathie keinerlei Aussagegehalt haben, völlig gleichgültig, zu welchem Ergebnis die Studie kommt.

Natürlich sind auch für die Homöopathie doppelblinde, placebokontrollierte Studien konzipierbar, die sich aber in ihrem Setting grundlegend von den üblichen Doppelblindstudien unterscheiden. Diese Studien sind aber aus technischen bzw. ethischen Gründen nicht durchführbar. Dies kann an dieser Stelle nicht näher ausgeführt werden, da es eine genau Kenntnis der homöopathischen Theorie erfordert.

 

 

Fußnoten

  1. Ivanovas G (2001): Doppelblind bei alternativen Heilverfahren, Dtsch Arztebl 98; 13: 822-825
  2. H.Fields und D.Price in The Placebo Effect S.97ff
  3. The Placebo Effect S.42f
  4. Ein schönes Beispiel ist die Nebenwirkung, die beim klinischen Test eines neuen Antihypertonikums festgestellt wurde: Erst der Einbruch in die pharmazeutische Firma hat, so will es die Sage, hat gezeigt, daß die Nebenwirkung von Viagra die eigentliche Wirkung war und nicht eine Doppelblindstudie.
  5. A.N.Whitehead und B. Russell, Principia Mathematica, 3 Bde,, Camebridge 1910-13